Straßburg

Verdif-Strasbourg-

Menschenwürde in der Verwaltungsrechtsprechung
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Dr. Sibylle von Heimburg, Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht

 

Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes stellt die Menschenwürde als Obersatz der deutschen Verfassung voran. Seine Auslegung obliegt damit primär dem Bundesverfassungsgericht. Gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG ist es aber Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die Menschenwürde zu achten und zu schützen. Ihr Schutz ist damit auch oberste Leitlinie der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte. Dieser Aufgabe ist das Bundesverwaltungsgericht bereits frühzeitig nachgekommen. Schon im ersten Band seiner Entscheidungssammlung findet sich sein grundlegendes Urteil, mit dem die Klagebefugnis für die Geltendmachung von Fürsorgeleistungen insbesondere aus der Menschenwürde hergeleitet wird: Das Gericht führt dazu aus, dass bis 1945 Schrifttum und Rechtsprechung überwiegend davon ausgegangen seien, dass die als Armenpflege bezeichnete Fürsorge dem Bedürftigen lediglich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, nicht aber um seiner selbst willen zu gewähren sei. Daher sei er nicht Subjekt der behördlichen Verpflichtung gewesen, sondern nur Objekt des behördlichen Handelns, Gegenstand der Pflicht, welche der Armenbehörde dem Staate gegenüber oblag. Die Leitgedanken des Grundgesetzes führten demgegenüber dazu, das Fürsorgerecht dahin auszulegen, dass die Rechtspflicht zur Fürsorge deren Träger gegenüber dem Bedürftigen obliege und dieser einen entsprechenden Rechtsanspruch habe. Der Einzelne sei zwar der öffentlichen Gewalt unterworfen, aber nicht Untertan, sondern Bürger. Darum dürfe er in der Regel nicht lediglich Gegenstand staatlichen Handelns sein. Die unantastbare, von der staatlichen Gewalt zu schützende Würde des Menschen verbiete es, ihn lediglich als Gegenstand staatlichen Handelns zu betrachten, soweit es sich um die Sicherung des notwendigen Lebensbedarfs, also seines Daseins überhaupt, handele. Mit der Feststellung, es widerspräche dem Verfassungsrecht, den früher zur Auslegung des Fürsorgerechts dienenden Grundsatz beizubehalten, beendete das Bundesverwaltungsgericht jede weitere Diskussion dieser Frage. Es hatte damit geklärt, dass der Satz von der Menschenwürde nicht lediglich ein ethisches Bekenntnis oder einen formelhaften Programmsatz darstellt, sondern eine – 2 – unmittelbar verbindliche Norm des objektiven Verfassungsrechts mit dogmatischen Konsequenzen bis hinunter auf die Ebene des Verwaltungsprozessrechts. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zeigt, dass Art. 1 Abs. 1 GG primär keine Leistungs-, sondern eine Abwehrnorm darstellt. Schwerpunkt der Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts zur Menschenwürde ist deshalb der Schutz vor Erniedrigung, Verächtlichmachung, Stigmatisierung, Verfolgung oder vergleichbar entwürdigender Behandlungen. Dabei fällt auf, dass lange Zeit eine positive Inhalts- und Begriffsbestimmung von „Menschenwürde“ vermieden wurde. Man argumentierte nicht vom Schutzbereich, sondern vom Eingriff her, d.h. man bestimmte nicht zunächst Inhalt und Reichweite der Menschenwürde, um dann das Vorliegen eines Eingriffs zu prüfen, sondern stellte eine Verletzung der Menschenwürde bei Vorliegen bestimmter einschlägiger Tatbestände bzw. Handlungsweisen fest. Diese Vorgehensweise setzt allerdings einen breiten Konsens über die Bewertung bestimmter Tatbestände als menschenwürdewidrig voraus. Nur wenn nach allgemeiner Auffassung eine Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG evident ist, kann diese „Negativ-Definition“ durchgehalten werden. Das bedeutet, der Satz von der Unantastbarkeit der Menschenwürde sichert eine allgemein und allseits akzeptierte Tabuzone. Dementsprechend wurde die Menschenwürde zunächst eher restriktiv ausgelegt. So stellte das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 1972 fest, dass der Befehl an einen Soldaten, die Haare nicht länger als im Einzelnen dort beschrieben zu tragen, die Menschenwürde, auf deren Beachtung auch der Soldat Anspruch habe, nicht verletze. Der Soldat werde damit weder zum Objekt noch zum bloßen Mittel herabgewürdigt oder erniedrigt. Weder werde seine ureigenste Intimsphäre missachtet noch seine Ehre in demütigender Weise verletzt. Das käme erst in Betracht bei einem Zwang zum Kürzen der Haare, wenn hierdurch der Soldat geächtet oder gebrandmarkt erschiene oder gröblich entstellt und so der Lächerlichkeit preisgegeben würde. – 3 – Auch die Auflage zur Führung eines Fahrtenbuches verstößt ebenso wenig gegen Art. 1 Abs. 1 GG wie die Verwertung psychologischer Tests bei der Prüfung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Relativ häufig wurden Menschenwürdeverletzungen bejaht im Disziplinar- und Wehrrecht. Die Wehrdienstsenate des Bundesverwaltungsgerichts sehen sich als Wahrer der Beachtung der Menschenwürde gerade auch im Verhältnis von Vorgesetzten und Untergebenen oder Soldaten untereinander. Eine unwürdige und ehrverletzende Behandlung eines Untergebenen ist danach für einen Soldaten in Vorgesetztenstellung stets ein sehr ernst zu nehmendes Fehlverhalten. Das Gebot der Unantastbarkeit der Würde des Menschen könne innerhalb und außerhalb der Streitkräfte nicht unterschiedlich gehandhabt werden; denn der Soldat habe die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger. Das gelte auch im Rahmen der Ausbildung der Soldaten. Denn jeder noch so in die Augen springende vermeintliche militärische oder technische Ausbildungserfolg ist nach dieser Rechtsprechung bedeutungslos, wenn er auf Kosten einer Verletzung der Würde, der Ehre und/oder der körperlichen Unversehrtheit eines Untergebenen erkauft wird. Auch ein vermeintlicher „Spaß“ ende dort, wo er die Würde, die Ehre und/oder die körperliche Unversehrtheit eines Kameraden verletze. Dabei ist es unerheblich, ob sich der in seiner Würde und Ehre missachtete Kamerad durch das Verhalten des Täters subjektiv beleidigt gefühlt oder ein solches Verhalten nachträglich verziehen hat. Denn die ehr- und körperverletzende Behandlung durch Vorgesetzte – im konkreten Fall durch die Anwendung eines sog. „Bestrafungsrituals“ – stellt einen Verstoß gegen die in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG normierte Verpflichtung aller staatlichen Gewalt zum Schutz der Menschenwürde dar. Von dieser Verpflichtung kann der für den Staat handelnde Amtsträger oder Bedienstete auch nicht durch das subjektive Einverständnis des Individualgrundrechtsträgers freigestellt werden. Unabhängig von der Behandlung durch Kameraden oder Vorgesetzte kann ein Soldat auf die Gewährleistung der unantastbaren Menschenwürde nicht zulässigerweise verzichten. Zu diesem Ergebnis kam das Bundesverwaltungsgericht in einem Disziplinarverfahren gegen einen Offizier, der ein mit Selbstauslöser – 4 – erstelltes Aktfoto von sich in einem Sexmagazin veröffentlichen ließ. Das Bundesverwaltungsgericht bewertete dies als ein sehr schwerwiegendes Dienstvergehen. Denn die Veröffentlichung von pornografischen Aufnahmen eines Soldaten in einem Sexmagazin sei geeignet, dessen Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit ernsthaft zu beeinträchtigen. Solche Aufnahmen zielten generell beim Betrachter eindeutig auf die Erregung eines sexuellen Reizes ab und degradierten den Adressaten zum bloßen (auswechselbaren) Objekt geschlechtlicher Begierde oder Erregung. Sie verstießen damit gegen die unantastbare Menschenwürde, die dem Menschen nur in seiner personalen Ganzheit zukomme und auf deren Gewährleistung er nicht zulässigerweise verzichten könne. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde erstreckt sich aber nicht allein auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland. Sie kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch eine Wirkung ins Ausland insoweit haben, als die Abschiebung eines Ausländers nicht zulässig ist, wenn ihm im Ausland eine die Menschenwürde verletzende Behandlung droht. Bei einem Bürgerkrieg gilt dies dann, wenn aufgrund der bewaffneten Auseinandersetzungen eine derart extreme Gefahrenlage besteht, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben wird, Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit in erhöhtem Maße drohen, die eine Abschiebung dorthin als unzumutbar erscheinen lassen. Eine extreme allgemeine Gefahrenlage in diesem Sinne ist etwa dann anzunehmen, wenn der Bürgerkrieg ein solches Ausmaß erreicht hat, dass der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Maßgeblich ist insoweit eine objektive Beurteilung. Wann die subjektive Furcht des Einzelnen angesichts einer allgemeinen Gefährdung als begründet anzusehen ist und damit zu einem zwingenden Abschiebungshindernis führt, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Erhebliche Kritik hat eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1981 erfahren, mit der die Erlaubnis zum Betrieb einer so genannten PeepShow verweigert wurde mit der Begründung, die beabsichtigte Veranstaltung verletze die Würde der zur Schau gestellten weiblichen Personen. Bei dieser Show sollte eine Frau auf einer drehbaren Bühne bei Musik ihren unbekleideten Körper den – 5 – Zuschauern in 20 kreisförmig um die Bühne angeordneten Ein-Personen-Kabinen zeigen. Die Fenster der Kabinen zur Bühne sollten jeweils durch eine Blende abgedeckt sein, die erst nach Einwurf einer Geldmünze für eine bestimmte Zeit verschwinden sollte, ohne dass die Kabinen von der Bühne aus einsehbar waren. Die Versagung der Erlaubnis für die Veranstaltung der Show sei nach dieser Rechtsprechung das Mittel, mit dem die staatlichen Behörden ihre Schutzverpflichtung nach Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG – Schutz der Menschenwürde – erfüllten. Die Menschenwürde sei verletzt, wenn die einzelne Person zum Objekt herabgewürdigt werde. Eine solche entwürdigende objekthafte Rolle werde der bei der Peep-Show auftretenden Frau zugewiesen. Sie werde als Lustobjekt zur Schau gestellt vor im Verborgenen bleibenden Voyeuren. Darin liege eine entpersonifizierende Vermarktung der Frau. Sie werde durch die Art und Weise der Darbietung erniedrigt und dadurch in ihrer Menschenwürde verletzt. Das Bundesverwaltungsgericht sah die Verletzung der Menschenwürde nicht dadurch als ausgeräumt oder gerechtfertigt an, dass die in einer Peep-Show auftretende Frau freiwillig handelte. Die Würde des Menschen sei ein objektiver, unverfügbarer Wert, auf dessen Beachtung der einzelne nicht wirksam verzichten könne. Es könne offenbleiben, ob und inwieweit der in seiner Menschenwürde geschützte Einzelne seinen individuellen privaten Lebensbereich nach seinem Belieben – insbesondere nach seinen Anschauungen darüber, was die Würde seiner Person ausmacht – ohne staatliche Einwirkung gestalten könne. Aufgrund des gewerberechtlichen Erlaubnisvorbehaltes unterstehe die Art und Weise der Ausübung des vom dortigen Kläger beabsichtigten Gewerbes der unmittelbaren Mitverantwortung des Staates, dessen Behörden nach Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG nach näherer Maßgabe der Gesetze zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet seien. Es sei deshalb lediglich darüber zu entscheiden, ob der Staat sozialrelevante gewerbliche öffentliche Veranstaltungen, die nach seiner Rechtsordnung nur mit behördlicher Erlaubnis erfolgen dürften, rechtlich ermöglichen müsse, wenn sie die Menschenwürde der in ihnen zur Schau gestellten Personen objektiv verletzten. Für diese Verletzung der Menschenwürde sei es unerheblich, dass der Gewerbetreibende Personen gefunden habe, die gegen Entgelt bereit seien, unter den angeführten Umständen in einer Peep-Show aufzutreten. Die Einwilligung des Betroffenen vermöge eine Verletzung der Menschenwürde nur auszuschließen, – 6 – wenn die Verletzung gerade und nur durch das Fehlen der Einwilligung des Betroffenen in die in Rede stehende Handlung oder Unterlassung begründet werde. So liege es hier aber nicht, wenn die Menschenwürde der auftretenden Frauen durch die für diese Veranstaltungen typische Art und Weise ihrer Zurschaustellung verletzt werde. Hier müsse die Menschenwürde wegen ihrer über den Einzelnen hinausreichenden Bedeutung auch gegenüber der Absicht des Betroffenen verteidigt werden, seine vom objektiven Wert der Menschenwürde abweichenden subjektiven Vorstellungen durchzusetzen. Dieser Schutz verlöre seine normative Kraft und seine für die verfassungsmäßige Ordnung des sozialen Zusammenlebens konstitutive Bedeutung, wenn die Frage, ob sozialrelevante gewerbliche öffentliche Veranstaltungen durch die Art und Weise ihrer Darbietungen die Menschenwürde der Darstellerinnen verletzen, dem Belieben des Unternehmers oder der Darstellerinnen anheim gegeben werde. Die Kritik an dieser Entscheidung entzündete sich insbesondere daran, dass eine Verletzung der Menschenwürde der Darstellerin nicht gegeben sein könne, wenn diese in freier Selbstbestimmung handele. Die vom Gericht vorgenommene Objektivierung der Menschenwürde führe nicht nur zur Ablösung vom konkreten Schutz konkreter Subjekte und damit zur Aufweichung des Wirkungsradius des Art. 1 Abs. 1 GG, sondern transformiere den freiheitsschützenden Satz von der Menschenwürde in eine Verpflichtungsnorm: Zu einem bestimmten, nach Meinung Dritter „menschenwürdigen“ Verhalten könne aber niemand gezwungen werden. Deshalb verweigerten auch einige Instanzgerichte dem Bundesverwaltungsgericht die Gefolgschaft bei dieser Rechtsprechung. So kam es, dass das Bundesverwaltungsgericht 1990 erneut über die Erlaubnis zum Betrieb einer so genannten Peep-Show zu entscheiden hatte. Auch in dieser Entscheidung kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Betrieb einer Peep-Show nicht erlaubnisfähig ist. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Kritik an seiner bisherigen Rechtsprechung stellte es aber nicht mehr auf die Menschenwürde ab, sondern urteilte, dass die Peep-Show-Veranstaltungen unabhängig von der Wertentscheidung des Grundgesetzes sittenwidrig und deshalb nicht genehmigungsfähig seien. Das Gericht argumentiert also nicht mehr mit der – 7 – Normativität des Menschenwürdesatzes, sondern der Faktizität sozialethischer Wertvorstellungen in Gesellschaft und Rechtspraxis. Im Jahr 2001 hatte das Bundesverwaltungsgericht erneut Gelegenheit, über die Frage zu entscheiden, ob die Menschenwürde verletzt sein kann, wenn die betroffenen Menschen sich freiwillig an einem gewerblichen Unterhaltungsspiel beteiligen. Es ging um ein so genanntes „Laserdrome“, in dem die Spieler mit maschinenpistolenähnlichen Laserzielgeräten und Stoffwesten ausgestattet sind und in einer großen Halle, in der mit Stellwänden ein weitläufiges Labyrinth aufgebaut ist, versuchen, teils auf fest installierte Sensorempfänger, teils auf die Mitspieler mit einem Laserstrahl zu „schießen“. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die das Spiel untersagenden Entscheidungen der Vorinstanzen und führte im Wesentlichen aus, dass, da der Begriff der Menschenwürde ein tragendes Konstitutionsprinzip im System der Grundrechte sei, mit ihm der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden sei, der es verbiete, den Menschen zum bloßen Objekt zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stelle. Menschenwürde in diesem Sinne sei nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern auch die Würde des Menschen als Gattungswesen. Da das Grundgesetz den Schutz der Menschenwürde unabhängig davon garantiere, ob der Eingriff vom Staat oder von privater Hand ausgehe, könnten auch gewerbliche Unterhaltungsspiele gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstoßen. Ein solcher Verstoß sei in erster Linie dann anzunehmen, wenn durch die Spielhandlungen konkrete Menschen in ihrer Menschenwürde verletzt werden. Das war beim Laserdrome allerdings nicht der Fall. Nach den Feststellungen des Gerichts stehen sich die Spieler bei dem Kampfgeschehen prinzipiell chancengleich gegenüber. Deshalb sei es nicht naheliegend, in dem einen Mitspieler ein Objekt zu sehen, welches dem anderen hilflos ausgeliefert sei. Unterhaltungsspiele könnten aber auch dadurch gegen die verfassungsrechtliche Garantie der Menschenwürde verstoßen, dass beim Spielteilnehmer eine Einstellung erzeugt oder verstärkt werde, die den fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugne, der jedem Menschen zukomme. Das geschehe insbesondere dann, wenn Gewaltakte gegen Menschen in der Absicht dargestellt würden, den Beteiligten ein sadistisches Vergnügen an dem Geschehen zu vermitteln. Denn eine solche – 8 – Tendenz schließe die Vorstellung von der Verfügbarkeit des Menschen als bloßes Objekt ein, in dessen Leben und körperliche Integrität nach Belieben eingegriffen werden könne. Darum könne neben der realen Gewaltausübung auch die Darstellung fiktiver Gewaltakte zu Spiel- und Unterhaltungszwecken das Gebot zur Achtung der Würde des Menschen verletzen. Demnach sei ein gewerbliches Unterhaltungsspiel, das auf die Identifikation der Spielteilnehmer mit der Gewaltausübung gegen Menschen angelegt sei und ihnen die lustvolle Teilnahme an derartigen – wenn auch nur fiktiven – Handlungen ermöglichen solle, wegen der ihm innewohnenden Tendenz zur Bejahung oder zumindest Bagatellisierung der Gewalt und wegen der möglichen Auswirkungen einer solchen Tendenz auf die allgemeinen Wertvorstellungen und das Verhalten in der Gesellschaft mit der verfassungsrechtlichen Menschenwürdegarantie unvereinbar. Die Freiwilligkeit der Teilnahme sowie das gegenseitige Einvernehmen der Spieler sei rechtlich unerheblich, weil die aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG herzuleitende Wertordnung der Verfassung nicht im Rahmen eines Unterhaltungsspiels zur Disposition stehe. Der Verstoß der Spielvariante gegen Art. 1 Abs. 1 GG führe zwingend zu ihrem Verbot. Besonders bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass das Bundesverwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass diese von ihm zugrunde gelegte Konsequenz des Schutzes der Menschenwürde nicht unbedingt überall gleich gesehen werden müsse. Es hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs eingeholt zu der Frage, ob es mit der Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit vereinbar ist, dass nach nationalem Recht ein gewerbliches Unterhaltungsspiel untersagt werden muss, weil es gegen die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen eines Mitgliedstaates verstößt, ohne dass in den anderen Mitgliedstaaten entsprechende Rechtsüberzeugungen bestehen. Mit Urteil vom 14. Oktober 2004 hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften diese Frage wie folgt beantwortet: „Das Gemeinschaftsrecht steht einem nationalen Verbot einer in der gewerblichen Veranstaltung von Spielen mit simulierten Tötungshandlungen an Menschen bestehenden wirtschaftlichen Tätigkeit, das zum Schutz der öffentlichen Ordnung wegen einer in dieser Tätigkeit gesehenen Verletzung der Menschenwürde ergeht, nicht entgegen.“ – 9 – In seiner abschließenden Entscheidung dieses Falles kommt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass, wenn die gewerbliche Veranstaltung eines Spiels nach den konkreten Umständen die Garantie der Menschenwürde verletzt, weder für eine normative Abwägung noch für Ermessenserwägungen im Einzelfall Raum bleibe. Die Ordnungsbehörde sei deshalb in derartigen Fällen zum Einschreiten verpflichtet. Zum Abschluss sei noch auf eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hingewiesen, in dem es um die Frage ging, ob die Ausstellung von plastinierten menschlichen Leichnamen durch die Wissenschaftsfreiheit gedeckt ist oder die Menschenwürde verletzt. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Wissenschaftsfreiheit nicht grenzenlos gewährleistet sei. Legitim seien jedoch nur aus der Verfassung selbst herzuleitende Schranken. Im vorliegenden Fall bilde die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde als oberster und höchster Wert den Gegenpol in der Güterabwägung mit der Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG. Da die Menschenwürde über den Tod hinaus wirke und auch den konkreten Leichnam als Hülle der verstorbenen Person einbeziehe, der nicht wie beliebige Materie behandelt werden dürfe, sei jeder Umgang mit einem Leichnam an dem allgemeinen Achtungsanspruch des Toten, der ihm kraft seiner Menschenwürde zukomme und auch noch nach dem Tod Schutz genieße, zu messen. Herabwürdigende und erniedrigende Verfahrensweisen seien verboten. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe sah der Senat im Rahmen der didaktisch motivierten und Aufklärungszwecken dienenden Ausstellung auch von Ganzkörperplastinaten keine Verletzung der Menschenwürde der Verstorbenen. Die an Kants ethische Maxime angelehnte Objekt-Formel des Bundesverfassungsgerichts, wonach es der Würde des Menschen widerspreche, ihn zum bloßen Objekt staatlichen Handelns zu machen, werfe hier unter zwei Aspekten Probleme auf: Zum einen gehe es bei der vorliegenden Fallkonstellation nicht um staatliches Eingreifen, sondern um die staatliche Schutzpflicht im Verhältnis Privater untereinander und zum anderen passe dieser Ansatz für den Leichnam, der per se nur noch Objekt sein könne, nicht vollends. Solange jedoch die Präsentation eines – 10 – Plastinats, dessen Herstellung von einer Einwilligung gedeckt sei, gemäß seinem ihm selbst innewohnenden Zweck nur der Schaffung von Einblicken in das Körperinnere, d.h. die physischen Gegebenheiten und Funktionszusammenhänge, diene, werde der biologische Teil des Menschseins dargestellt. Diese Rückbezüglichkeit des didaktischen Einsatzes eines Leichnams als Mittel der Erkenntnis der Menschheit über sich selbst, der in der medizinischen Ausbildung schon immer üblich gewesen und durch die öffentliche Präsentation der Aufklärung sowie der kollektiven Gesundheitsvorsorge durch Motivation zu gesunder Lebensweise diene, markiere mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 GG einen legitimen Zweck. Demgegenüber erscheine die Instrumentalisierung einer Leiche zu kreativer Gestaltung und Ausformung eigener, den Rahmen der Didaktik verlassender Ideen und Aussagen als Tabubruch. Wenn der Präparator durch besondere, didaktisch nicht gerechtfertigte Formung eines Plastinats und dessen Präsentation in der Öffentlichkeit die pädagogische Zwecksetzung hinter sich lasse, benutze er den Leichnam als Medium zu eigener Formensprache und durchbreche damit den erwähnten reflexiven Bezug. Der Einsatz menschlicher Leichen zu künstlerischen Zwecken erscheine problematisch, da der tote Körper als Stoff einer künstlerischen Gestaltung mit anschließender Präsentation entzogen sei („res extra artem“). In der Literatur wird der Gesichtspunkt der Relativierung des Menschenwürdeschutzes durch ihre Abwägung mit anderen Rechtsgütern teilweise deutlich kritisiert. Allerdings steht insoweit insbesondere das Bundesverfassungsgericht in der Kritik. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist diese Diskussion bisher nicht vertieft geführt worden.

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