Potsdam

Verdif-Potsdam-

Rede zum 20-jährigen Jubiläum der VERDIF anläßlich der Tagung vom 9. bis 12. Oktober 2014 in Potsdam

Dr. Werner Hanisch, Präsidenten des Verwaltungsgerichts Oldenburg a. D.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, cari amici, cheres amis,

unser Präsident hat es schon betont, unsere Vereinigung ist nun 20 Jahre alt. Dies ist eigentlich noch kein Alter, das man groß feiert, aber ein bißchen stolz können wir schon sein. Berichten möchte ich darüber, wie unser Baby erwachsen geworden ist. Begrüßen möchte ich aber zuvor noch unser bewährtes Dolmetscherteam, das uns mit seiner hervorragenden Arbeit nun schon seit 1996 begleitet, damals noch eine Woche lang mit konsekutiver Übersetzung in der Richterakademie in Trier.

Zunächst ein Blick darauf, wie alles angefangen hat. Die ersten Kontakte wurden Anfang der 1980er Jahre geknüpft. Im Grunde könnten wir heute noch ein zweites Jubiläum begehen, nämlich 30 Jahre Zusammenarbeit zwischen italienischen und deutschen Verwaltungsrichtern. Denn es war unser Freund Francesco Mariuzzo, der 1984, also vor 30 Jahren, den Kontakt zu uns suchte, und der damalige Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter, Georg Häring, bereitwillig darauf einging und es in einem Münchener Bierkeller zu einer ersten Aussprache im kleinen Kreis kam. Von Anbeginn bestand Offenheit und Sympathie und die Bereitschaft, über den Tellerrand der nationalen Verhältnisse zu schauen. Und schon ein Jahr später machte sich die erste Expedition des BDVR, bestehend aus Georg Häring und dem hier berichtenden Chronisten, nach Italien auf den Weg, um in Brescia erstmals über die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit zu berichten. Schon bei diesem ersten Kongress sammelten wir nützliche Erfahrungen. Beginnen sollte die Tagung um 9 Uhr. Wir waren da, natürlich pünktlich, gespannt, was uns erwarten würde. Sonst war aber niemand zu sehen, bis wir dem Hausmeister auffielen, immerhin handelte es sich um ein Bankgebäude. Er lenkte unsere Aufmerksamkeit auf bedeutende Ausgrabungen aus römischer Zeit im einsehbaren Kellerbereich. Aber wir blieben nicht allein. Wir sprachen über die Klagearten und den vorläufigen Rechtsschutz. Simultanübersetzer hatten wir damals noch nicht. Frau Rechtsanwältin Giebelmann übersetzte konsekutiv. Sie bewahrte Haltung, auch bei Begriffen wie Suspensiveffekt und aufschiebende Wirkung kapitulierte sie nicht.

Im Jahr darauf kam es zum Gegenbesuch. Beim 8. Deutschen Verwaltungsrichtertag in Saarbrücken trug Francesco Mariuzzo Aspekte der italienischen Verwaltungsgerichtsbarkeit vor und, das war ein erstes Vorzeichen eines Dreiländervereins, Jean‑Marie Woehrling betrachtete die französische und deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit im Vergleich. Weitere Besuche in Brescia und dann wieder beim Verwaltungsrichtertag 1989 in Braunschweig folgten. Ganz reibungslos ging es nicht voran. Noch 1992 bei einer Zusammenkunft am Rande des 10. Verwaltungsrichtertages in Aachen wurde im Protokoll festgehalten, dass Übereinstimmung darüber bestehe, „dass zunächst keine strenge Organisationsform für die weitere Arbeit eingerichtet werden soll“. Diese Zurückhaltung hielt jedoch nicht lange an. Eine Gruppe drängender Kollegen und Freunde versammelte sich auf Initiative von Heinz Stauth im Hotel unseres Kollegen Weiß am Kalterer See in Südtirol und nutzte den durch Ort und Zeitpunkt und sicher von Menge und Güte des genossenen Weines begünstigten Augenblick und wurde sich einig, alsbald einen Verein zu gründen. Die Angelegenheit entwickelte jetzt Eigendynamik und es kam schon am 26. März 1993 in Venedig zu der glanzvollen, von Präsident Trotta vorbildlich organisierten Zusammenkunft von etwa 80 Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichtern aus Italien und Deutschland. Diese Versammlung fasste den Grundsatzbeschluss zur Gründung einer italienisch‑deutschen Vereinigung. Also eines Zweierbundes, aber es wurde auch festgelegt, daß die neue Vereinigung „für die Teilnahme der französischen Verwaltungsrichter offen“ sei. Aber es gab auch Probleme. Schon die Grundzüge der geplanten Satzung machten Schwierigkeiten und insbesondere bei den Zielen der Vereinigung gingen die Meinungen anfangs weit auseinander. Was waren die Ziele? Ging es mehr um persönliche Begegnung oder sollte doch der fachliche Austausch im Vordergrund stehen. Manch einer beschwörte die Gefahr eines Reisevereins. Eine Aussprache im kleinen Kreis in der Bibliothek des Verwaltungsgerichts brachte dann den Durchbruch. Die bis ins einzelne gehende Aufzählung der Ziele in der Satzung vermittelt den Kompromißcharakter. Zur weiteren Vorbereitung der Gründung wurde dann noch ein Gründungsrat berufen.

Dieser Gründungsbeirat brachte die Angelegenheit weiter voran und am Rande der Jubiläumsfeiern aus Anlass des 20jährigen Bestehens der Verwaltungsgerichte in Italien und der Übergabe eines neuen Gerichtsgebäudes für das Verwaltungsgericht kam es im Mai 1994 in Bologna zu einem Zusammentreffen mit französischen Kollegen, die nun auch mitmachen wollten. Sehr beeindruckt hat mich damals die Festveranstaltung in der historischen Aula der Universität und unsere Kollegin Anna Leoni, die dem anwesenden Staatspräsidenten Scalfaro die Sorgen und Anliegen der italienischen Verwaltungsrichter vortrug.

Die Zeit wurde knapp. Es war bis zu der im Herbst vorgesehenen Gründungsversammlung noch einiges zu tun. Vor allem ging es darum, die Strukturen des nun auf drei Länder angelegten Vereins festzulegen und den Entwurf einer Satzung umzuschreiben. Aber es ging alles gut. Am 7. Oktober 1994 kam es in Weimar zur Gründung der Vereinigung. Die verfügbaren Quellen sprechen von 129 Gründungsmitgliedern. 16 aus Frankreich, 34 aus Italien und 79 aus Deutschland hoben die menage á trois (Woehrling) aus der Taufe. Ganz einfach war es nicht. Wir tagten im Intercity-Hotel am Bahnhof in einem L-förmigen Saal, das machte die Situation unübersichtlich. Die Diskussion war es auch. Die Satzung und Fragen des Sitzes der Vereinigung erwiesen sich als Stolpersteine. Endlich der rettende Ruf: Vertagung der Versammlung. Es ging zum Mittagessen im Elefanten, einem stadtbekannten Hotel. Über Speis und Trank beruhigten sich die Gemüter. Der Knoten platzte. Alles ging jetzt ganz schnell und hups, schon war der hier stehende Berichterstatter der erste Präsident der Vereinigung. Unterstützt wurden wir in Weimar von unserem Mitglied Dr. Gasser, der uns als früherer Verwaltungsrichter verbunden war und damals als Staatssekretär im Justizministerium arbeitete und von einem tatkräftigen Ortsausschuß unterstützt wurde. Ein Empfang beim Oberbürgermeister der Stadt Erfurt, eine Zusammenkunft in der alten Aula der Universität Jena mit Grußworten des Rektors und des Oberbürgermeisters sowie ein eindrucksvoller, bewegender Besuch des Lagers Buchenwald rundeten das Programm unserer in drei Städten durchgeführten Gründungstagung ab. Ein geplanter Vortrag von Professor Huber, dem jetzigen Richter des Bundesverfassungsgerichts, im am Domplatz gelegenen Landgericht Erfurt mußte ausfallen. Das Gericht war an diesem 8. Oktober, einem Sonnabend, natürlich abgeschlossen, ein Schlüssel oder ein Hausmeister war trotz aller Bemühungen nicht aufzutreiben. Wir trugen die unverhoffte Straffung des Programms mit Fassung.

Die Arbeit der Vereinigung führte seitdem über viele Stationen, vorangetrieben durch den ersten Leitungsausschuss, der die Fundamente gelegt und es verdient hat, hier genannt zu werden: Es sind die Kollegen der ersten Stunde, aus Frankreich Jean‑Marie Woehrling und Danielle Mazzega, aus Italien Dr. Mariuzzo und Dr. Ravalli und aus Deutschland Heinz Stauth, ja und der Chronist gehört auch dazu.

Die Arbeit der Vereinigung kann sich sehen lassen, das darf man doch in aller Bescheidenheit sagen. Wenn ich richtig gezählt habe, haben wir tatsächlich 35 Volltagungen mit Referaten und Diskussionen durchgeführt, dazu kommen die Treffen bei den Verwaltungsrichtertagen in Dresden, Mainz, München, Bremen, Weimar, Freiburg und Münster sowie drei Wochentagungen in den Richterakademien in Trier und Wustrau. Gerade diese waren besonders wertvoll. An den drei Tagungen zu technischen Großvorhaben, zum Verfahrensrecht und zum Ausländer- und Asylrecht nahmen jeweils 40 Kolleginnen und Kollegen, je zehn aus Italien und Frankreich und zwanzig aus Deutschland teil. Auch hier wurden Fälle bearbeitet. Einmal in einer Bausache sogar anhand eines Aktenstückes. Während der ausländer- und asylrechtlichen Tagung wohnten wir einer Berufungsverhandlung des Oberverwaltungsgerichts Berlin unter Leitung unseres Mitglieds PräsOVG Jürgen Kipp in einem Asylstreitverfahren türkischer Asylbewerber bei. Ich erinnere mich gut daran, wie beeindruckt unsere französischen und italienischen Kollegen vom Ablauf in diesen ihnen völlig unbekannten Verfahren gewesen sind.

Aber es gelang auch nicht alles. Eine Pleite erlebten wir mit dem Projekt, vor einer Tagung in Brescia zur Verbesserung der Sprachkenntnisse, ein Treffen in Dorf Tirol im Gasthof Tiroler Kreuz unseres Freundes und Kollegen Toni Widmair durchzuführen. Es wurde für eine Großveranstaltung geplant. Alle Betten des Tiroler Kreuzes und der benachbarten Gasthöfe waren für uns reserviert. Gekommen sind letztlich nur meine Frau und ich, aber wir hatten schöne Tage.

Natürlich können hier nicht alle Stationen im einzelnen aufgearbeitet werden. Aber alle unsere Tagungen hatten ihr eigenes Profil, waren stets mit Einsatz und Sorgfalt vorbereitet und führten über die im Vordergrund stehende Rechtsvergleichung immer zur Erweiterung des fachlichen Horizonts, und, was uns allen immer besonders am Herzen lag, zur Vertiefung unserer persönlichen, freundschaftlichen Beziehungen. Alle diese Treffen haben unsere Vereinigung zu dem gemacht, was sie heute ist.

Die erste Tagung führte uns wenige Wochen nach der Gründung im Dezember 1994 in Straßburg zusammen, Das Verwaltungsgericht beging sein 75jähriges Bestehen und wir arbeiteten am Grundsatz des fairen Verfahrens, 1995 trafen wir uns in Brescia und wieder in Straßburg, 1996 dann Triest mit dem Thema „Effektivität des Verwaltungsrechtsschutzes“ und Nizza zur Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes in Europa sowie eine ganze Woche in der Richterakademie in Trier mit Besuch des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg. 1997 trafen wir uns in Köln und beschäftigten uns mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und im Herbst wieder in Brescia zur Kontrolle des Ermessens. 1998 in Florenz ging es um den vorläufigen Rechtsschutz. Es war die einzige Tagung bisher mit Förderung durch die europäische Kommission und es war schwer, an die Gelder aus Brüssel zu kommen. 1999 erlebten wir Rom und wir befassten uns mit der Rolle der Verwaltungsgerichte im demokratischen Staat. Es folgte die zweite einwöchige Tagung in der Richterakademie, diesmal in der Tagungsstätte Wustrau in der Mark Brandenburg und wiederum Brescia, das war wirklich ein ganz besonderes Jahr. Im Jahr 2000 tagten wir im Mai in Berlin zum Verfahrensrecht und dann im Oktober ging es nach Dijon, wir beschäftigten uns mit der Stellung der Kommunen im gerichtlichen Verfahren. 2001 folgte die Tagung in Sirmione am Gardasee, die Untätigkeit von Behörden war das Thema. 2002 waren wir in Paris und arbeiteten über den Status des Verwaltungsrichters. Im Herbst in Wiesbaden ging es wieder um den vorläufigen Rechtsschutz. Dann 2003 in Latina wurde der Einfluss der Menschenrechtskonvention thematisiert. Hier erlebten wir die vielleicht aufwendigste Tagung. In diesem vielen von uns unbekannten Ort erfuhren wir besondere Gastlichkeit und ein einzigartiges Beiprogramm, wie Schiffsausflug zur Insel Ponza, mit einem von den Bewohnern des von uns besuchten Ortes bereiteten Mittagsbüfett im Freien auf Bergeshöhen und Ausklang mit einem Tänzchen in einem alten Gemäuer mit Georg Häring an dem dort vorgefundenen Flügel. Getanzt hat der Kongreß auch sonst schon mal. So auf dem Weingut von Herrn Radelli di Zinis am Gardasee und auch bei der vornehmen Gala in Rom bei der von Georgio Alloca organisierten Tagung 1999 und nicht zuletzt in der Villa Bajana bei der großzügigen Einladung von Herrn Fontana. Sangesfreudig waren wir vor zehn Jahren in Weimar, besonders aber im Rheingau, es schallte laut im Keller von Schloß Reinhartshausen und im Kloster Eberbach. Weiter mit dem Veranstaltungsreigen. Im September 2003 zum dritten Mal für eine Woche in der Richterakademie, wieder in Wustrau, und im Oktober Brescia, die Heilung von Verfahrensfehlern war das Thema. Und dann wieder Weimar zum zehnjährigen Bestehen.

Es ging mit bleibendem Schwung in das zweite Dezennium. Zunächst gab es die Tagung in Würzburg im April 2005 zum Rechtsschutz gegen Planungsakte bevor es dann im Oktober tief in den Süden nach Palermo ging und wir uns mit der Überprüfung von Ermessen und unbestimmten Rechtsbegriffen beschäftigten. Im Mai 2006 trafen wir uns in Toulouse am Amtssitz unseres Freundes Patrick Kintz und sprachen über die Vereinfachung und Beschleunigung des gerichtlichen Verfahrens. Im Oktober in Nürnberg bei unseren Kollegen aus Ansbach stand erneut der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf dem Programm, im Frühsommer 2007 in Oldenburg der Gleichheitssatz, dann im Oktober Lecce und der Rechtsschutz bei Windenergieanlagen. Im Mai 2008 folgte Grenoble, es ging um die Unabhängigkeit des Verwaltungsrichters. Im Herbst die Tagung in Trient am Amtssitz unseres Freundes Francesco Mariuzzo, wir sprachen über den Einfluss der Entscheidungen des Menschenrechtsgerichthofs. Im Mai 2009 in Leipzig im Bundesverwaltungsgericht war die religiöse Neutralität des Staates das Thema. Dann im November wieder einmal Straßburg. Im Europäischen Parlament. Ein Höhepunkt. Es ging um die Menschenwürde im gerichtlichen Verfahren. Zum Mittagessen im Casino sang der Mitarbeiterchor das Schlesierlied. Für mich als geborenen Schlesier ein emotionaler Höhepunkt. Im Oktober 2010 erlebten wir Genua und beschäftigten uns mit dem Einfluss des europäischen Rechts. Die Tagung in Kloster Banz im Mai 2011 hatte die Überpüfung von Gesetzen und untergesetzlichen Normen zum Thema. Im Oktober ging es nach Mailand. Wir arbeiteten über die Verpflichtungsklage. Im Mai 2012 in Lyon beschäftigten wir uns mit Vertrauensschutz und Rechtssicherheit. Im September ein weiterer Höhepunkt. Die Tagung in der Villa Vigoni am Comer See war pure Inspiration. Die Überprüfung von umweltrechtlichen Entscheidungen war das Thema. Es folgte im Oktober 2013 die Tagung in Toulon zur Problematik gemeindlicher Bebauungspläne. Ja und noch ganz gegenwärtig die letzte Tagung im Frühsommer in Venedig mit der passenden Problematik des Spannungsfeldes zwischen Umweltschutz und wirtschaftlicher Betätigung.

Nahezu alle Gebiete der verwaltungsgerichtlichen Praxis wurden bearbeitet: die Grundrechte, die tragenden Verfahrensgrundsätze und natürlich das gerichtliche Verfahren. Die Spielarten des vorläufigen Rechtsschutzes und die Verpflichtungsklage waren nach meiner Beobachtung für unsere Kollegen aus Frankreich und Italien immer von besonderem Interesse.

Von grossem Gewinn für uns alle und längst fester Bestandteil unserer Tagungen war immer wieder die gemeinschaftliche Bearbeitung von Fällen. Der Spruch „so viele Richter, so viele Meinungen“, hat sich hier nie bestätigt. So unterschiedlich die Ansätze und der Gang der Überlegungen auch immer gewesen sind, so wenig unterschieden sich die dann im Plenum vorgestellten Lösungen im Ergebnis voneinander. Es war immer eine wunderbare Erfahrung zu erleben, dass sich Rechtsempfinden, Gerechtigkeitssinn und Judiz unabhängig von Prozessordnungen und materiellem Recht entfalten.

Zur inhaltlichen Arbeit in diesen ersten 20 Jahren unserer Vereinigung lässt sich sicher vieles, auch kritisches, bemerken. Nicht jedes unserer ehrgeizigen, in der Satzung formulierten Ziele wurde erreicht. Und sicher hatten wir mit der Wahl unserer Themen nicht immer eine glückliche Hand. Aber war und ist das wirklich das Wichtigste? Entscheidend ist doch, dass wir uns nähergekommen sind durch die persönlichen Begegnungen am Rande unserer Tagungen, die uns auf vielfältige Weise Land und Leute nähergebracht haben. Wie wunderbar waren unsere Stunden z.B. in den Ninfagärten, in Nizza, im Burgund und im Rheingau, um nur einige Bilder zu nennen. Im Grunde ist es so, dass die beiden mit der Vereinsgründung verfolgten Ziele, nämlich die persönliche Begegnung und der fachliche Austausch immer wieder durch die besondere Ausgestaltung unseres Tagungsprogramms verwirklicht werden.

Aber die Bindungen erschöpfen sich nicht in diesen großen Kongressen. Immerhin ist es auch zu vereinzelten Hospitationen an ausländischen Gerichten gekommen, auch Studienaufenthalte konnten vermittelt werden. Natürlich haben wir nach wie vor unser Kommunikationsproblem. Nur wenige aus unseren Reihen beherrschen alle drei Sprachen unserer drei Länder. Und jeder mag sich fragen, ob er der vor zwanzig Jahren bei der Gründung gegebenen Anregung gefolgt ist, Jahr für Jahr jeder der ihm fremden Sprache zehn Worte hinzuzufügen. Das wären immerhin inzwischen 200 verfügbare Worte je Sprache.

Ich möchte nun zum Ende kommen. Nicht ohne Genugtuung kann man heute feststellen, dass sich unser Verein nicht als Seifenblase entpuppt hat. Er hat sich auch von der Zahl der Mitglieder prächtig entwickelt, es sind jetzt einige Hundert, und er ist in das Geflecht der nationalen und supranationalen Verbände eingebunden. Und er hat, und das sage ich mit besonderer Freude, den Generationenwechsel im wesentlichen geschafft. Und deshalb ist mir um die Zukunft unserer Vereinigung nicht bange. Wir müssen nur weitermachen, dürfen den Blick fürs Machbare nicht verlieren und die jüngeren Kollegen nicht vergessen. Danken sollten wir allen, die im Leitungsausschuss mitgearbeitet haben. Besondere Anerkennung haben die Kollegen verdient, die die Kongresse vor Ort organisiert oder sich insbesondere als Präsidenten der Vereinigung für unsere Ideen eingesetzt haben und denen es immer wieder gelungen ist, eine Frühjahrstagung und eine Herbsttagung auf die Beine zu stellen. Hier sind unsere Kollegen und Freunde Francesco Mariuzzo, der nimmermüde Motor unserer Vereinigung, Patrick Kintz, der so viele wunderbare Kongresse organisiert hat, Jean-Marie Woehrling, Maurizio Nicolosi, Angelo de Zotti, Joachim Becker und aktuell Andreas Middeke zu nennen.

Persönlich habe ich durch VERDIF eine große Bereicherung erfahren, für die ich immer dankbar sein werde. Ein Kreis von Freunden sind wir geworden. Dank an Euch alle, die Ihr mitgemacht habt. In diesem Sinne wünsche ich VERDIF eine gute Zukunft.

Danke für Ihre Geduld.

Die Rolle von Verwaltungsrichtern und der Einfluss der Politik auf ihre Tätigkeit – Funktion – Ernennung/Beförderung

Prof. Dr. Dieter Kugele, RiBVerwG a.D.

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

lassen Sie mich zum Auftakt eine Geschichte erzählen.

Als junger Regierungsrat war ich Mitte der 70er Jahre einem Oberlandesanwalt beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof als wissenschaftlicher Mitarbeiter zugeteilt. Oberlandesanwälte vertraten damals in Bayern den beklagten Staat vor den Verwaltungsgerichten.

In einem Verwaltungsstreitverfahren ging es im Zuge einer Neuordnung der bayerischen Landkreise um die Frage, ob der Donau-Flusshafen weiterhin der Stadt Regensburg zugeordnet werden sollte. Denn er war zuvor weit über die Stadtgrenze hinaus auf das Gebiet des Landkreises Regensburg ausgedehnt worden. Die Entscheidung hatte einen bedeutenden Einfluss auf die Gewerbesteuereinnahmen der beiden Gebietskörperschaften. Auf Ladung des Gerichts fand eine Ortsbesichtigung statt. In der Mittagspause saßen die Verfahrensbeteiligten gerade in einer Gastwirtschaft zusammen, als der Senatsvorsitzende und zugleich Präsident des Gerichts vom Wirt zum Telefon gerufen wurde. Nach wenigen Minuten kam er mit hochrotem Gesicht an den Tisch zurück. Er machte seinem Ärger Luft und erzählte uns, was vorgefallen war: Ein hochgestellter politischer Amtsträger habe ihm am Telefon verdeutlicht, dass es nur eine richtige Entscheidung geben könne. Der Präsident solle Einfluss auf seine Richter nehmen. Das könne man von ihm erwarten. Schließlich habe er seine berufliche Stellung der Landesregierung zu verdanken.

Wie ist ein solcher Vorgang zu bewerten?

Ein derartiger Telefonanruf eines Parlamentsmitglieds und hochgestellten Parteifunktionärs beim zuständigen Richter während eines laufenden Verfahrens passt zunächst in das Nomenklatursystem (1) des Einparteienstaates. Dort herrscht keine Gewaltenteilung. Vielmehr müssen sich alle staatlichen Einrichtungen dem Erkenntnismonopol der Einheitspartei unterwerfen.(2) Diejenigen unter Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die in der DDR aufgewachsen sind,werden sich an dieses System der Unterdrückung des freien politischen Ideenwettbewerbs erinnern.

Im gewaltenteilenden Rechtsstaat ist eine solche Einmischung in einen laufenden Verwaltungsrechtsstreit natürlich ein absolutes No-Go. Sie ist auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass die politischen Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG). Dies gilt auch für den geschilderten Fall, obgleich die gebietsrechtliche Zuordnung des Flusshafens wegen der Gewerbesteuerfrage nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine sehr politische Frage war.

Der geschilderte Versuch unzulässiger politischer Einflussnahme war wenig intelligent, sodass er schon wegen seiner unverblümten und dummen Plumpheit scheitern musste. Dazu ist das Selbstbewusstsein der deutschen Richterschaft seit Gründung der Bundesrepublik viel zu gefestigt. Allerdings wird man ein derartiges rechtsstaatliches Fehlverhalten letztlich nie verhindern können. Ich kann jedem Richter nur raten, solchen Druckkulissen zu widerstehen, einen Aktenvermerk über das Gespräch zu fertigen, den eigenen Spruchkörper und, in krassen Fällen, den Gerichtspräsidenten zu informieren.

Den thematischen Schwerpunkt unserer Tagung sehe ich in solchen Vorgängen allerdings nicht. Ich möchte mich vielmehr mit den systemischen Möglichkeiten politischer Einflussnahme beschäftigen.

So komme ich jetzt zu der Frage, warum das Tagungsthema besonders für Verwaltungsrichter zu jeder Zeit brisant ist.

Verwaltungsrichter genießen, wie alle staatlichen Richter sachliche und persönliche Unabhängigkeit; sie sind nur dem Gesetz unterworfen (Art. 97 Abs. 1 GG).

Die sachliche Unabhängigkeit bedeutet, dass sie in ihrer Entscheidung und deren Vorbereitung frei von äußeren Einflüssen sind.(3) Dazu gehören alle richterlichen Handlungen, die in einem konkreten Verfahren zur Rechtsfindung gehören.(4) Der Verwaltungsrichter unterliegt bei der Durchführung dieser Aufgaben keinerlei Weisungsbefugnis.(5) Er ist wegen der in der Verfassung verankerten richterlichen Unabhängigkeit aus der im demokratischen System sonst notwendigen personellen Legitimationskette herausgelöst.6 Die Legitimation der Richtermacht beruht insoweit unmittelbar auf der Verfassung.

Untersagt sind schließlich auch jegliche Einflussnahmen anderer Art, etwa Bitten, Anregungen oder Empfehlungen, z.B. des Gerichtspräsidenten oder eines Kollegen, vor allem aber jede Art von Druck, etwa fallbezogene Vorhaltungen oder Maßregelungen,(7) sowie mittelbar wirkende Maßnahmen, z.B. unsachgemäße Mittelzuweisungen an die Gerichte.(8)

Im Bereich der persönlichen Unabhängigkeit(9) ist der Richter vor persönlichen Sanktionen wegen missliebiger Entscheidungen geschützt.(10) Schutzwirkung etwa hat die grundsätzlich lebenslängliche Anstellung und das Verbot, ihn gegen seinen Willen zu versetzen. Ohne sachliche Rechtfertigung kann er auch nicht von einer Streitsache abgezogen werden. Ich brauche das nicht näher auszuführen; sie sind alle Richterinnen und Richter und ich will keine Eulen nach Athen tragen.

Was ist aber nun das Besondere an der Rolle des Verwaltungsrichters im Vergleich zu anderen Richtern? In unseren Heimatländern ist die Teilung der staatlichen Gewalten im Grundsatz verwirklicht. In Deutschland muss man allerdings eher von gegenseitiger Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Gewalten sprechen.(11) Eine strikte Gewaltenteilung existiert nicht. Man kann das schon daran erkennen, dass die Berufsrichter von Organen der Legislative oder Exekutive ausgewählt werden, obgleich sie mit ihrer judikativen Tätigkeit der Dritten Gewalt zugeordnet sind. Ich will nicht so weit gehen und sagen, dass dadurch der Richtervorbehalt (Art. 92 GG) und das daraus abgeleitete Rechtsprechungsmonopol(12) verletzt werden. Auch der Grundsatz der organisatorischen Selbständigkeit der Gerichte(13) wird nicht angetastet. Ebenso wird nicht unmittelbar in die richterliche Unabhängigkeit eingegriffen.(14)

Da der Gewaltenteilungsgrundsatz in Deutschland nicht strikt verankert ist, verstoßen die Beteiligung parlamentarischer Wahlausschüsse und die Mitwirkung der Exekutive bei der Auswahl der Richter nicht gegen Verfassungsrecht. Entscheidend ist aber, dass die Mitglieder des Wahlausschusses in die Lage versetzt werden, das Prinzip der Bestenauslese tatsächlich zu verwirklichen, und dass sie das auch wirklich tun.

Was die Auswahl der Richter ohne Einschaltung eines parlamentarischen Richterwahlausschusses, sondern ausschließlich durch die Exekutive betrifft, so z.B. in Bayern, wird man allerdings kaum sagen können, die Ernennung oder Beförderung eines Richters sei ein Akt der Gerichtsverwaltung, also Bestandteil exekutiver Aufgabenerfüllung. Das mag für das reindienstrechtliche Ernennungs-Procedere gelten. Es gilt aber nicht für den materiell-rechtlichen Inhalt einer Auswahlentscheidung. Denn hierbei geht es um die Durchsetzung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG).

Bei der Ernennung und Beförderung von Richtern ausschließlich durch Organe der politischen Exekutive erfasst mich allerdings trotz verfassungsrechtlicher Unbedenklichkeit schon immer ein Gefühl des Unbehagens. Das gilt besonders für die Ernennung und Beförderung von Verwaltungsrichtern. Denn zu ihrem „Kundenkreis“ gehört in großem Umfang die öffentliche Hand. Verwaltungsrichter müssen gegebenenfalls die Kuh schlachten, von deren Milch sie leben. Das ist wie ein Kampf mit Skylla oder Charybdis. Darin liegt der erste Teil der Besonderheit der Tätigkeit des Veraltungsrichters.

Der zweie Teil der Besonderheit liegt in der demokratischen Legitimationskette, in die der öffentlich- rechtliche „Kundenkreis“ des Verwaltungsrichters eingebunden ist. Seine Institutionen unterstehen unmittelbar oder mittelbar der politischen Entscheidungsebene. Die wiederum hat sich ihrerseits gegenüber dem Volkssouverän zu verantworten. In dieser Verantwortungskette liegt der wunde Punkt: Die Meinungsbildung auf der politischen Entscheidungsebene unterliegt nämlich völlig anderen Kautelen als die Entscheidungen eines gerichtlichen Spruchkörpers. Ich will damit nicht sagen, dass politische Entscheidungen nicht sachbezogen wären. Was mich aber beunruhigt, ist, dass sie häufig zusätzlich rein politischen Zwängen unterliegen, die in der Sache nicht gerechtfertigt sind, etwa aufgrund eines Kompromisses im Koalitionsvertrag oder aufgrund eines landesweit als wichtig eingestuften Ereignisses.

Denken Sie nur an Fukushima und die germanische Angstphobie. Beide haben – sozusagen von jetzt auf gleich – zum Beginn des Ausstiegs aus der Atomkraft geführt. Das war sachlich kein sofort notwendiger Schritt. Es war aber ein hoch politischer Schritt zur Machterhaltung. Richter müssen Emotionen bei Ihren Entscheidungen ausklammern. Politiker dürfen sie insbesondere dann nicht außer Acht lassen, wenn es sich um einen Mainstream handelt. Tun sie es dennoch, riskieren sie den Machtverlust.

Denken Sie an die derzeit in Deutschland heftig diskutierte Einführung einer Straßenmaut. Begonnen hat die Heftigkeit dieser Diskussion im letzten Bundestags-Wahlkampf. Der Bayerischen CSU ist es mit dem Vorschlag einer Straßenmaut für Ausländer gelungen, die Stammtische zu erobern. Die Partei hat bei der Wahl ein gutes Ergebnis eingefahren. So konnte sie das Maut-Thema zum Gegenstand des Koalitionsvertrages machen.

Auf ministerieller Arbeitsebene hat man dann aber erkannt, dass eine bloße Autobahnmaut ein betriebswirtschaftliches Nullsummenspiel werden würde. Also hat man das Ganze neu etikettiert. Derzeit ist ein für die Nutzung aller Straßen geltender Infrastrukturbeitrag das Gesetzesziel. Diese Lösung wirft schwierige Fragen auf, die bisher nicht geprüft worden sind. Käme es allerdings zu einem solchen Gesetz, dann würde schon der erste verwaltungsgerichtliche Prozess ein viel beachtetes Verfahren sein. In solchen Fällen gilt dann der Satz: „Vae victis!“ Die Frage ist nur, ob zu den Besiegten auch die beteiligten Verwaltungsrichter gehören.

Die Entscheidungsprozesse politischer Akteure laufen wegen der existentiellen Berücksichtigung öffentlicher Befindlichkeiten anders ab als Entscheidungsprozesse eines gerichtlichen Spruchkörpers. Die einen stehen unter öffentlicher Überwachung. Die andern genießen die Abgeschiedenheit des abgesperrten Beratungszimmers. Die einen werden nicht wieder gewählt. Die andern werden allenfalls von der nächst höheren Instanz aufgehoben. Daher wird es immer so sein, dass politische Instanzen, die Einfluss auf Karriere und Tätigkeit der Verwaltungsrichter haben, in erster Linie politisch denken, taktieren und agieren.

Wir kennen alle das öffentliche Gezerre um politische Ämter. Eine besondere Art Tauschbasar findet bei der Vergabe hoher Richterämter im Bundesdienst statt. Es geht um den Länderproporz, den Parteienproporz und natürlich letztlich auch um Qualität. Was die Qualifikation der Kandidaten betrifft, mache ich mir im Prinzip keine Sorgen. Die Dienstherren der Länder oder des Bundes sind ja selbst daran interessiert, besonders geeignete Personen in den Wahlgang zu schicken.

Die Frage ist nur, ob ein parlamentarischer Wahlausschuss praktisch in der Lage ist, den besten Kandidaten auszusuchen. Ich zweifle sogar daran, dass er diesen Grundsatz überhaupt auf seinem Schirm haben kann. Ich denke, dass die Bestenauslese in den Ländern stattfindet. Nur dort können die Bewerber nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung sachkundig ausgesucht werden. Im Wahlausschuss selbst steht der Länderproporz im Vordergrund (Art. 36 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 95 Abs. 2 GG).(15) Nach dessen Vorgaben werden die Weichen für den bevorstehenden Wahlgang bereits am inoffiziellen Vorabend der Auswahlentscheidung gestellt. Würde der Grundsatz der Bestenauslese tatsächlich im Wahlausschuss zur Anwendung kommen, dann stünden sich Kandidaten gegenüber, deren Qualifikation in den einzelnen Ländern nach nicht ohne weiteres kompatiblen Kriterien festgestellt worden ist.

Eine verfassungsfeste Vergleichbarkeit wäre wegen der immer noch bestehenden föderalen Unterschiedlichkeiten derzeit nur sehr schwer herstellbar. Nicht zu Unrecht hat die frühere Justizministerin Däubler-Gmelin die Auffassung vertreten, dass der Grundsatz der Bestenauslese im Richterwahlausschuss von Bundestag und Bundesrat keine Bedeutung habe. Das ist natürlich für einen streng im Sinne des Grundsatzes der Bestenauslese Denkenden starker Tobak.

Tatsächlich müssen wir uns aber damit abfinden, dass die Bestenauslese bei der Wahl der Bundesrichter in den Ländern stattfindet. Das ist die logische Konsequenz des Länderproporzes. Es wird daher bei der Bundesrichterwahl nicht der Beste gewählt, sondern der Beste aus Bayern oder aus Thüringen oder aus Hamburg.(16) Richter des Bundesverfassungsgerichts wird entsprechend der vermeintlich Beste auf Vorschlag einer politischen Partei, die an der Reihe des Vorschlagsrechts ist. Das ist die logische Konsequenz des Parteienproporzes.

In den Richterwahlausschüssen der Länder ist die Sache weniger kompliziert. Allerdings kann sich auch dort der Virus der parteipolitischen Ämterpatronage durchsetzen. In aller Regel wird man auch hier Tauschgeschäfte machen.

Es geht aber nicht nur um das unterschiedliche Rollenverhalten politischer und nicht politischer Instanzen. Es muss – wie schon gesagt – bedacht werden, dass der Verwaltungsrichter über Maßnahmen seines eigenen Dienstherrn entscheidet. In vielen Fällen kann er seine Entscheidungen auf den Gesetzeswortlaut stützen. Gerade infolge des hoch entwickelten Abstraktionsprinzips des deutschen Rechts mit zahllosen unbestimmten Rechtsbegriffen und mit kognitiven sowie voluntativen Interpretationsspielräumen steht man allerdings vor einem weiten Feld der Überraschungen. Sage mir niemand, dass gerade bei der Ermessensinterpretation oder dem Ausloten eines Beurteilungsspielraums zwischen administrativer Prärogative und richterlicher Entscheidungskompetenz im Einzelfall niemals zumindest auch ein politischer Vorgang stattfindet. Und dieser Vorgang hängt natürlich auch vom Zeitgeist ab, wenn es der maßgebliche materiell-rechtliche Entscheidungszeitpunkt zulässt.

Lassen Sie mich, um das „Politische“ bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe plastisch zu machen, ein Beispiel aus der Rechtsprechung nennen:

Ein Richter in Frankfurt am Main war wegen seiner polyglotten Begabung jahrelang mit schiedsrichterlichen Verfahren international agierender Konzerne im Rahmen von Nebentätigkeitsgenehmigungen beschäftigt. Seine amtlichen Aufgaben hat er nie vernachlässigt. Niemand hat sich daran gestört, dass sein Honorar nach dem Gegenstandswert ermittelt wurde. Es war manchmal höher als seine Richterbezüge.

Das ging gut, bis etwas Hochpolitisches geschah, an dem dieser Richter gar nicht beteiligt war:

Ein anderer Richter nämlich, der Präsident eines anderen Gerichts in Frankfurt am Main, erzielte für ein Gutachten ein Millionenhonorar. Der Vorgang wurde in der Bildzeitung mit großer Überschrift angeprangert. Politik und Neider heulten auf. Man forderte den Präsidenten auf, das „Schandhonorar“ zurückzuzahlen. Der wollte nicht und verschwand mit der Million in den Ruhestand.

Dieses Ereignis wurde skandalisiert und führte dazu, dass die Nebentätigkeitsverordnung des Landes geändert wurde. Man führte eine Verdienstobergrenze ein. Das traf auch den Richter in Frankfurt. Das Bundesverwaltungsgericht hielt die Verdienstobergrenze für zulässig, weil sie dazu dienen könne, einen bösen Schein vom öffentlichen Dienst fernzuhalten.(17)

Sachlich betrachtet waren die Honorare nicht zu beanstanden. Sie wurden vereinbarungsgemäß jeweils auf der Grundlage der damaligen Gebührenordnung ermittelt. Die Höhe des Honorars lässt außerdem in diesen Fällen keine Rückschlüsse auf den benötigten Zeitaufwand zu. Gerade dieser Gesichtspunkt ist aber in aller Regel das wichtigste Kriterium, um beurteilen zu können, ob der Richter sich im Rahmen seiner Nebentätigkeitsgenehmigung bewegt hat.

Politisch aber wirkte das Millionenhonorar elektrisierend, zumal in den Jahren der wirtschaftlichen Depression. Da bot sich dem Bundesverwaltungsgericht der wahrlich kryptische Begriff des bösen Anscheins aus dem Beamtenrecht an. Dieser Begriff, der noch aus der Kaiserzeit stammt, wurde aus der Truhe geholt und die Sache war entschieden. Bis zu diesem durch die Presse skandalisierten Ereignis entsprach der Zeitgeist dem Grundsatz, dass öffentlich Bedienstete im Rahmen genehmigter Nebentätigkeiten das Honorar erhalten durften, das ihnen nach den einschlägigen Bestimmungen zustand. Erst der Weckruf des Millionenhonorars brachte ein Upgrade des Zeitgeistes. Gelobt sei der unbestimmte Rechtsbegriff.

Lassen Sie mich jetzt noch etwas zum Verständnis des Begriffes „Dienstherr“ sagen. Dabei handelt es sich um einen abstrakten Rechtsbegriff. Dieser wird mit Blick auf den praktischen Vollzug der Bestenauslese erst konkret, wenn er personifiziert ist. Denn hinter dem Dienstherrn steckt ein Beamter, ein Mensch also mit Intellekt und Emotionen. Da kann eine Gerichtsentscheidung in der Exekutive schon mal Ärger verursachen. Diesen trägt der betroffene Ministerialdirektor weiter und lebt ihn bei Gelegenheit als Argument gegen eine Beförderung des entsprechenden Richters aus. Sie kennen ja den Spruch: “Semper aliquid haeret.“

Ich komme zu einem Resümee:

Für eine verfassungsgerechte Ernennung und Beförderung ist entscheidend, dass der Grundsatz der Bestenauslese berücksichtigt wird. Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Die Verfassung macht dem Dienstherrn keine Vorschriften, mit welcher Methode und mit welchem Verfahren diesem grundrechtsgleichen Anspruch entsprochen wird. Es spielt daher aus diesem Gesichtspunkt keine Rolle, ob die Auswahlentscheidung ein parlamentarischer Wahlausschuss auf der Grundlage eines Vorschlags der Exekutive trifft oder ob der Richter von der Exekutive allein ausgesucht und ernannt wird oder ob es ein Auswahlverfahren gibt, an dem weder die Legislative noch die Exekutive beteiligt sind: etwa eine Auswahl der Richter durch ein Richterkollegium.

Mit meinen Bedenken am praktischen Vollzug der derzeitigen Bestenauslese bin ich nicht allein. Die Auswahl der Richter, insbesondere im Bundedienst, ist immer wieder ein Thema, das gelegentlich hochkocht.

Das Auswahlverfahren allein durch Organe der Exekutive ist – von normalen Fehlentscheidungen im Einzelfall abgesehen – in Allgemeinen nicht zu beanstanden, soweit für den Qualifikationsvergleich der Bewerber um ein Richteramt sogenannte harte Vergleichsmaßstäbe vorhanden sind und eingesetzt werden. In aller Regel sind das die Examensnoten, manchmal zusätzlich noch das Ergebnis eines Assessments, sowie Jahre nach der Einstellung für eine Beförderung die dienstlichen Beurteilungen. Auch herausragende wissenschaftliche Leistungen können ein Auswahlkriterium sein.

Zwar sind diese Verfahren durchaus fehleranfällig, sie sind aber durch Gerichte nachprüfbar. Das bedeutet, dass in dem Bereich, in dem die Kandidaten der Regelbeurteilung unterliegen, politische Ämterpatronage und Nepotismus für Verursacher sowie für Teilnehmer gleichermaßen gefährlich sind. In diesem Bereich ist allerdings auch das Interesse der Politik an einer konkreten Personalentscheidung eher gering. Das heißt, dass der Zugang zum Verwaltungsrichteramt in der Eingangsinstanz für unser Thema, jedenfalls was Deutschland betrifft, weniger interessant ist. Das gilt in aller Regel auch für die nächst höhere Stufe, das Amt des Vorsitzenden Richters am Verwaltungsgericht und des Richters am Oberverwaltungsgericht.

Weniger transparent sind Beförderungsverfahren in höhere Richterämter dann, wenn die Bewerber keine aktuellen dienstlichen Beurteilungen vorweisen können, weil sie der Regelbeurteilung nicht mehr unterliegen. Zwar gilt auch bei den Vorsitzenden Richtern am Oberverwaltungsgericht der Grundsatz der Bestenauslese, der sich materiell-rechtlich nicht von den Kriterien unterscheidet, die für die Richter gelten, die der Regelbeurteilung noch unterliegen. In aller Regel kann man sich mit einer Anlassbeurteilung behelfen, die die bisherige durch ältere aber noch verwertbare Regelbeurteilungen bewiesene berufliche Qualifikation nachzeichnet. Im Ergebnis sehe ich auch in diesem Bereich grundsätzlich zwar keine systemischen Probleme, wohl aber bereits eine abstrakte Gefährdung des Grundsatzes der Bestenauslese. Denn Anlassbeurteilungen sind, und das weiß jeder, der mit Personalrecht zu tun hat, nicht selten wie Trauerreden. Es wird der Himmel herunter gelogen.

Stellt sich noch die Frage, wie sich die Dinge bei den Ämtern der Präsidenten- und Vizepräsidenten, insbesondere der Oberverwaltungsgerichte und erst recht des Bundesverwaltungsgerichts, verhalten. Hier spricht die politische Exekutive auf jeden Fall und oft auf höchster Ebene mit. Erschwerend kommt hinzu, dass es in einem gerichtlichen Verfahren in der Praxis schwer sein dürfte, einen Qualifikationsvergleich sachgerecht durchzuführen. Denn hier ist das politische Ermessen so stark ausgeprägt, das letztlich de facto keine materiell-rechtliche, sondern nur eine verfahrensrechtliche Bestenauslese stattfinden kann. Das zeigen jedenfalls die Beispiele aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, deren Entscheidungen auf dieser Ämterebene ausnahmslos Fehler des Verfahrens im Blick haben.

Es darf natürlich nicht übersehen werden, dass die Präsidenten der Verwaltungsgerichte aller Stufen hauptsächlich exekutive Aufgaben der Gerichtsverwaltung zu erfüllen haben. Zwar schließen sie sich einem Spruchkörper ihrer Wahl an, doch ist nach den Geschäftsverteilungsplänen in aller Regel dafür Sorge getragen, dass die Präsidenten mit judikativer Arbeit nicht überlastet werden. Lediglich an kleineren Gerichten und auf besonderen Wunsch des Amtsinhabers kann anderes gelten. Für die Ämter der Vizepräsidenten gilt ähnliches. Besonders an personell starken Gerichten – auch in der Eingangsstufe – erfordert die zeitraubende Aufgabe der Führung und Beaufsichtigung des nichtrichterlichen Personals Fingerspitzengefühl und Lebenserfahrung. Bei diesen Ämtern ist es schon fraglich, nach welchen Kriterien die Bestenauslese stattfinden sollte. Allein ein guter Richter zu sein, garantiert nicht, dass er auch Personal führen und das Gericht in der Öffentlichkeit sachgerecht vertreten kann.

Andererseits darf der Einfluss der Gerichtspräsidenten nicht zu gering bewertet werden. Immerhin gehört es zu ihren Aufgaben, die Richter dienstlich zu beurteilen und dem Ministerium diejenigen vorzuschlagen, die sie für eine Beförderung für geeignet halten. Allein in diesem Vorschlagsrecht liegt ein hohes Potential zur parteipolitischen Ämterpatronage. Das gilt vor allem dann, wenn der Amtsinhaber der politischen Partei des Ministers nahe steht. Zudem sind starke Persönlichkeiten vor allem nach längerer Dienstzeit in der Lage, auch Präsidium und Richterrat für ihre Personalvorschläge zu gewinnen.

Praktisch betrachtet macht es daher schon Sinn, dass die Exekutive bei der Auswahl der Gerichtspräsidenten entscheidet. Mein Unbehagen beruht allerdings darin, dass niemand wirklich nachprüfen kann, nach welchen Kriterien die Auswahl erfolgt. Ich denke, dass der Satz gilt: Nicht der Beste wird ausgewählt, sondern der Beliebteste. Fatal ist allerdings, dass der Liebhaber immer derselbe ist, namentlich die politische Exekutive.

Hierzu – eher am Rande – eine kleine Geschichte: Ein Richterkollege am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erzählte mir beim Mittagessen, er sei gerade auf dem Ticket der SPD zum Landesverfassungsrichter gewählt worden. Staunend erinnerte ich ihn, dass er mir gesagt habe, bereits vor 10 Jahren aus der SPD ausgetreten zu sein. Das treffe zu, antwortete der Kollege, das sei jedoch in der SPD wohl niemandem aufgefallen.

Letztlich müssen wir im Fall der Auswahl dieser Amtsträger davon ausgehen, dass die Auswahlentscheidungen kaum transparent sind. Dennoch halte ich dies im Grundsatz für akzeptabel. Auch hierzu zwei aktuelle Beispiele:

In diesem Sommer wurden die Spitzenämter des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts neu besetzt. Schon vor vielen Jahren ist in der CDU der Wunsch geäußert worden, die Spitze des Bundesverwaltungsgerichts mit einer Persönlichkeit zu besetzen, die von der Union vorgeschlagen wurde. Denn seit langer Zeit wurden die Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts von der SPD vorgeschlagen. Aus nachvollziehbaren Gründen konnte es erst in diesem Jahr zu dem gewünschten Farbenwechsel kommen. Das Medium des Wechsels war zur Erhaltung des Parteienproporzes natürlich wieder ein Tauschgeschäft.

Oder: Der Richter des Bundesverfassungsgerichts Gerhard ist kürzlich aus seinem Amt ausgeschieden. Sein Richterstuhl war ein Berufsrichterstuhl, den die SPD besetzen darf. Würde man den Grundsatz der Bestenauslese unterstellen, müsste man zugestehen, der Kollege, den die SPD nun als Nachfolger vorgeschlagen hat, sei nur der Beste der SPD-Kandidaten. Ob er der Beste aller möglichen Kandidaten ist, bleibt offen. Also wieder ein Beispiel dafür, dass der Parteienproporz ebenso wie der Länderproporz den Grundsatz der Bestenauslese zumindest relativiert. Der Kollege Maidowski, der auf Vorschlag der SPD zum Verfassungsrichter gewählt wurde, ist allerdings – aus meiner persönlichen Kenntnis – eine absolut vortreffliche Wahl.

Dennoch: Man kann das Blatt drehen, wie man möchte: Die Auswahl der Kandidaten für herausgehobene Richterpositionen ist eine politische Entscheidung. Das Amt bekommt der, der von denjenigen geliebt wird, die den Trumpf ausspielen dürfen. Daher macht es summa summarum auch keinen Unterschied, ob ein parlamentarischer Wahlausschuss beteiligt ist oder ob die politische Exekutive allein entscheidet. Denn der Deal der Parteien muss eingehalten werden.

Ich denke, dass das auch eine sachliche Berechtigung hat. Denn im föderalen System unterwerfen sich die Länder der Rechtskontrolle der obersten Gerichte des Bundes. Da deren Entscheidungen die Rechtsprechung der Landesgerichte beeinflussen, ist der Länderproporz eine praktikable Lösungsmöglichkeit. Letztlich gilt dies auch für den Parteienproporz, womit politische Auswahlentscheidungen zumindest proportional ausgeglichen werden. Die politischen Parteien akzeptieren diese Staatspraxis in aller Regel. Als die SPD auf Vorschlag ihrer damaligen Obfrau Däubler-Gmelin im Richterwahlausschuss in den späten 90er Jahren aus der Verabredungspraxis ausscherte, kam es mit dem Kabinett Kohl zu massiven Verwerfungen, die der Sache sehr geschadet haben.

Kommen wir – abschließend – aus den Höhen der obersten Bundesgerichte zurück auf den verwaltungsgerichtlichen Alltag:

Im Gegensatz zu früher wird heute häufig von der dienstrechtlichen Konkurrentenklage Gebrauch gemacht, sodass Ämterpatronage und Nepotismus Gefahr laufen, entdeckt zu werden. Das ist ein großer Fortschritt. Dass das Bundesverwaltungsgericht, bestärkt durch das Bundesverfassungsgericht, den Grundsatz der Bestenauslese ernst nimmt, zeigt mein letztes Beispiel, mit dem ich meinen Beitrag beenden will:

Der Präsident des Oberlandesgerichts Koblenz wird auf dem Ticket der SPD Justizminister in Rheinland-Pfalz. Er ist bemüht, einen Kollegen, den Präsidenten eines Eingangsgerichts, zu seinem Nachfolger im Oberlandesgericht zu machen. Dieser bewirbt sich; ein anderer dummerweise auch. Es kommt zu einer Konkurrentenklage, die der Favorit des Ministers in zwei Instanzen im Eilverfahren gewinnt. Der Unterlegene kündigt sofort an, Verfassungsbeschwerde zu erheben. Dem will der Minister zuvor kommen. Er bestellt seinen Favoriten kurzer Hand ins Ministerium, um ihm die Ernennungsurkunde auszuhändigen und so die Ernennung in trockene dienstrechtliche Tücher zu bringen. Die Aushändigung der Urkunde erfolgte bereits eine halbe Stunde nach dem Eintreffen des Eilbeschlusses des Oberverwaltungsgerichts im Justizministerium.

Das Bundesverwaltungsgericht, das einige Zeit später über die Hauptsacheklage auf Durchführung eines neuen Auswahlverfahrens zu entscheiden hatte, hob die bisherige Auswahlentscheidung auf, verpflichtete das beklagte Land, die Ernennung des siegreichen Ministerfavoriten zum Präsidenten des Oberlandesgerichts rückgängig zu machen und ein neues Auswahlverfahren durchzuführen.(18)

Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass in diesem Fall wegen eines verfassungsrechtlich unverfrorenen Verhaltens eines Landesministers nur Scherben übrig geblieben sind. Aber der Rechtsstaat hat gesiegt. Darauf kommt es an.

Was bleibt mir als Schlusssatz? Ich beschränke mich auf die hintersinnige dritte Strophe eines Gedichts von Matthias Claudius aus dem 18. Jahrhundert:

„Seht Ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön. So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsere Augen sie nicht sehen.“

(1) bis (18) Die Fußnoten samt Vortragstext können Sie hier (PDF, 108 KB) herunterladen.

Die übrigen Länderberichte finden Sie unter Links/Downloads

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