Düsseldorf

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Vorträge in Düsseldorf
Der Zugang zu staatlichen Informationen bei den Bundesbehörden in Deutschland und seine Grenzen, insbesondere aus Gründen der öffentlichen Sicherheit.

Dr. Susanne Rublack, Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts

Vortrag auf der Fachtagung der Vereinigung deutscher, italienischer und französischer Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter e. V. und des Ministeriums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen am 20. Oktober 2023 in Düsseldorf

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich freue mich, zum ersten Mal an einer Tagung Ihrer Vereinigung teilzunehmen, und bedanke mich für die Gelegenheit, vortragen und mit Ihnen diskutieren zu dürfen.

Das Tagungsthema, die Informationsfreiheit, berührt einen zentralen Punkt unseres demokratischen Staatsverständnisses. Nur gut informierte Bürgerinnen und Bürger können am demokratischen Prozess teilhaben und ihn auf einer gewissen Augenhöhe mitgestalten. Staatliche Entscheidungen kritisch zu überprüfen – falls nötig, mithilfe der Verwaltungsgerichte – ist ohne Zugang zu behördlichen Informationen regelmäßig nicht möglich. Auch die Presse kann ihre für eine demokratische Gesellschaft unverzichtbare Rolle einer kritischen Begleitung staatlichen Handelns umso besser erfüllen, je weitgehender sie Zugang zu Informationen der Behörden hat. Dasselbe gilt für Nichtregierungsorganisationen, die sich als „public watchdog“ verstehen und für die Öffentlichkeit mehr Transparenz staatlicher Institutionen erreichen wollen. Eine hinreichende Transparenz staatlichen Handelns dient also zum einen der Kontrolle der Behörden, sie ist spiegelbildlich aber auch Grundlage eines informierten Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in den Staat. Um dieses Vertrauen muss mehr denn je geworben und gerungen werden.

Das Informationsfreiheitsrecht ist in Deutschland ein verhältnismäßig junges Rechtsgebiet. Es hat sich seit nunmehr 25 Jahren sehr dynamisch entwickelt und wird auch absehbar weiter fortschreiten. Gleichzeitig ist es ein Paradebeispiel der Rechtsentwicklung im deutschen Föderalismus, der im besten Falle die Chance bietet, wie in einer großen Experimentierwerkstatt verschiedene Regelungsmodelle auszuprobieren und mit gelungenen Modellen Standards für den politischen Prozess in anderen Bereichen des Bundesstaats zu setzen.

Die ersten mutigen Schritte sind ab 1998 einige Bundesländer gegangen, indem sie Landesinformationsfreiheitsgesetze erließen. Der Bund folgte erst 2006 mit dem Bundes- Informationsfreiheitsgesetz. Seither haben die meisten der übrigen Bundesländer, mit Ausnahme von Bayern und Niedersachsen, ebenfalls Landesgesetze über den Zugang zu staatlichen Informationen verabschiedet. Einige von ihnen haben mit dem Erlass oder der Planung von Transparenzgesetzen mit einem Fokus auf aktiven Veröffentlichungspflichten der Behörden schon den Impuls für eine bundesweite Weiterentwicklung des klassischen Informationszugangsrechts gesetzt.

Auf Einzelheiten des Landesrechts wird heute Mittag der Vortrag von Herrn Dr. Christians vom Justizministerium Nordrhein-Westfalen eingehen. Mein Vortrag konzentriert sich auf das Recht auf der Bundesebene. Seine Auslegung und richterliche Weiterentwicklung ist Aufgabe – unter anderem – des Bundesverwaltungsgerichts als Revisionsgericht.

Ganz wesentliche Impulse für die Informationsfreiheitsgesetzgebung in Deutschland sind seit den 90’ger Jahren von den europäischen Richtlinien zum Zugang zu Umweltinformationen ausgegangen, etwas später verstärkt durch die völkerrechtliche Aarhus-Konvention. Aber auch unabhängig von unions- oder völkerrechtlichen Vorgaben hat sich eine breite Palette bundesgesetzlicher Regelungen zum Informationszugang entwickelt: Neben dem Bundes- Informationsfreiheitsgesetz von 2006 (dem IFG) besteht auf der Bundesebene ein separates Umweltinformationsgesetz, das UIG, sowie ein 2008 in Kraft getretenes Verbraucherinformationsgesetz, das VIG. Außerdem ergeben sich Informationszugangsrechte aus vielen Fachgesetzen, so etwa dem Bundesarchivgesetz, dem Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (Stasiunterlagengesetz) oder dem Bundesparteiengesetz. Sie gehen dem IFG vor und schließen dessen Anwendung aus, wenn sie einen im Wesentlichen identischen Sachgehalt haben und sich als abschließend verstehen. Zu klären, welches der in Betracht kommenden Gesetze überhaupt auf ein Informationsbegehren anwendbar ist, ist häufig die erste Schwierigkeit in der Bearbeitung von Anträgen oder Klageverfahren, und oft auch unter den Gerichten und in der Wissenschaft sehr umstritten.

Die Regelungen in den verschiedenen Informationszugangsgesetzen auf Bundesebene sind zudem im Detail vielfach uneinheitlich, ohne dass ein Gesamtregelungskonzept des Gesetzgebers erkennbar wäre. Nicht alle sind so großzügig wie das IFG. Das macht die Rechtsanwendung für Behörden und Verwaltungsgerichte oft schwierig und wirft die Frage auf, ob man trotz unterschiedlicher Regelungen gesetzesübergreifende Analogien ziehen kann, also etwa eine Regelungslücke im IFG füllen kann durch entsprechende Anwendung

einer Regelung im Bundesarchivgesetz oder im Umweltinformationsgesetz. Das Bundesverwaltungsgericht hat das in Einzelfällen bereits getan.

In einigen Bundesländern sind die bereichsspezifischen Informationszugangsgesetze bereits zusammengefasst worden zu einem einzigen Gesetz. Auf der Bundesebene steht ein solcher Schritt aber noch aus. Momentan wird dort diskutiert über die Schaffung eines umfassenden Transparenzgesetzes, das im Koalitionsvertrag der derzeitigen Bundesregierung von 2021 angekündigt worden ist. Der Weg zu einem solchen vereinheitlichenden Gesetz, das auch stärker proaktive Veröffentlichungspflichten der Behörden vorsähe, scheint aber dem Vernehmen nach noch weit zu sein, sodass es erst einmal bei dem – vielleicht typisch deutschen? – Regelungsdickicht bleibt.

Man kann wohl ohne zu übertreiben bilanzieren: Das Informationsfreiheitsrecht, das jeder Person einen voraussetzungslosen Anspruch auf Zugang zu behördlichen Informationen gewährt, ist in den vergangenen 25 Jahren in Deutschland zu einer Erfolgsgeschichte geworden.

Es hat die behördliche Kultur – beginnend mit der Art und Weise, wie Akten geführt und Datenbestände gepflegt werden, sowie insgesamt im Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern – grundlegend verändert.

Auch wenn die Verwaltungsgerichte mit vielen Fällen befasst werden, in denen Informationsanträgen nicht stattgegeben wurde, ergibt die Statistik ein anderes Bild: Überwiegend geben die Bundesbehörden Informationszugangsanträgen statt. Nur in etwa einem Zehntel aller Fälle haben Bundesbehörden 2022 Anträge abgelehnt. Vielfach erledigen sich Anträge, weil die begehrten Informationen nicht vorhanden sind oder Anträge zurückgenommen werden. Ein Kostenrisiko besteht für die Antragsteller kaum: Gebühren werden auf Bundesebene relativ selten erhoben, und dann in sehr moderater Höhe. Das IFG verbietet es nämlich, Gebühren für die Bearbeitung eines Antrages in einer Höhe zu verlangen, die auf die Inanspruchnahme des voraussetzungslosen Informationszugangsrechts abschreckend wirken könnte.

Ich werde ihnen nun zunächst einen Überblick darüber geben, was den Informationszugangsanspruch nach dem IFG so besonders macht und auf welche Informationen welcher Behörden er sich überhaupt beziehen kann (I).

Anschließend stelle ich ihnen die in der Praxis häufigsten allgemeinen Grenzen des Zugangsanspruchs vor, insbesondere den Datenschutz und Unternehmensgeheimnisse (II). Etwas eingehender werde ich die Begrenzung von Informationsrechten zum Schutz der öffentlichen Sicherheit erörtern, die ein Schwerpunkt unseres Themas sind (III).

Abschließend werde ich stichpunktartig auf das Verwaltungsverfahren und die gerichtliche Kontrolle behördlicher Entscheidungen zum Informationszugang eingehen (IV).

  1. Welche neue und besondere Qualität hat der Informationszugangsanspruch nach dem IFG und worauf bezieht er sich?

    „Jeder hat nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen.“ Mit dieser kleinen Revolution beginnt das Informationsfreiheitsgesetz in seinem § 1 Abs. 1. Jede Person hat grundsätzlich einen subjektiv-rechtlichen Anspruch auf Informationszugang, ohne seine Motive oder irgendein berechtigtes Interesse darlegen zu müssen. In diesem Sinne ist der Informationszugangsanspruch voraussetzungslos. Das war für die Bundesrepublik Deutschland ein gewaltiger Schritt, denn bis zur Einführung des Anspruches galt das Prinzip der beschränkten Aktenöffentlichkeit: Bis auf spezielle Ausnahmen war ein Anspruch auf Akteneinsicht beschränkt auf Verfahrensbeteiligte oder Personen mit einem besonderen berechtigten Interesse am Informationszugang. – Ein Informationszugangsantrag nach dem IFG muss grundsätzlich nicht begründet werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn personenbezogene Daten Dritter oder geistiges Eigentum, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse betroffen sind. Ein Antrag nach dem IFG kann also aus purer Wissbegierde, zu journalistischen Zwecken, zur Verfolgung kommerzieller Interessen, zur Vorbereitung eines Rechtsstreits, zu altruistischen Zwecken oder aus sonstigen Motiven gestellt werden, ohne dass man dies offenlegen müsste.

    In seltenen Fällen allerdings stößt ein Informationszugangsantrag an die ungeschriebene Grenze des Rechtsmissbrauchs: Nur dann, wenn es einem Antragsteller gar nicht um die begehrte Information geht, sondern wenn er ausschließlich andere Ziele verfolgt, die von der Rechtsordnung missbilligt werden, also z.B. die Behörde durch umfängliche oder viele Anträge lahmzulegen, kann ein Antrag als rechtsmissbräuchlich abgelehnt werden. Das Gesetz vermutet aber das Informationsinteresse des Antragstellers. Die Behörde muss darlegen und beweisen, dass ein Antrag ausnahmsweise ausschließlich rechtsmissbräuchlich motiviert ist. Allein eine Vielzahl von Anträgen, die für eine Behörde durchaus ein großes Problem sein kann, reicht dafür nicht aus. So war z.B. ein Informationszugangsbegehren eines Erfinders nicht rechtsmissbräuchlich, der über 140 Anträge bei einem Ministerium

    gestellt hatte, in dessen Forschungsförderprogramm er nicht mit aufgenommen worden war. Sein inhaltliches Interesse an den begehrten Informationen war nicht auszuschließen.

    Gegenüber welchen Behörden besteht der Zugangsanspruch nach dem IFG?

    Aus Gründen der Gesetzgebungskompetenz im deutschen Bundesstaat: Nur gegenüber den Bundesbehörden. Ansprüche gegen die Landesbehörden regeln die Länder in ihren eigenen Informationszugangsgesetzen. Bundesbehörden, und dazu gehören auch sonstige Bundesorgane und -einrichtungen sowie Personen des Privatrechts, die für eine Behörde öffentlich-rechtliche Aufgaben erfüllen, sind aber nur im Rahmen ihrer materiellen Verwaltungstätigkeit informationsverpflichtet.

    Nach dem funktionalen Behördenbegriff kommt es darauf an, ob die Behörde die begehrten Informationen aufgrund der Wahrnehmung öffentlich-rechtlich Verwaltungsaufgaben vorhält. Kein Anspruch nach dem IFG besteht dagegen, wenn etwa ein Bundesministerium an Aufgaben der Rechtspflege oder der Gesetzgebung mitwirkt und in diesem Zusammenhang Informationen vorhält. Dazu ein Beispiel aus der Rechtsprechung unseres Revisionssenats im März dieses Jahres: Der damalige Bundesjustizminister hatte 2015 dem deutschen Generalbundesanwalt eine Anweisung erteilt, in einem konkreten Strafermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter einer Informationsplattform für digitale Freiheitsrechte, denen Landesverrat vorgeworfen wurde, einen bestimmten Gutachtenauftrag zurückzunehmen. Dieses Ermittlungsverfahren hatte sich zu einem gewissen Politikum entwickelt. Der Bundesjustizminister hat nach deutschem Recht gegenüber dem Generalbundesanwalt ein Aufsichts-und Leitungsrecht. Seine Anweisung führte zu einem Konflikt zwischen ihm und dem damaligen Generalbundesanwalt und schließlich zu dessen Rücktritt. Ein Verein zur Förderung der Informationsfreiheit beantragte daraufhin Zugang zu den Unterlagen aus dem Ermittlungsverfahren, die das Bundesjustizministerium im Rahmen seiner Aufsicht erhalten oder selbst erstellt hatte. Die Klage auf Informationszugang blieb erfolglos, weil die begehrten Informationen sich auf einen Vorgang der Rechtspflege – nämlich ein konkretes Ermittlungsverfahren – und nicht auf eine materielle Verwaltungstätigkeit bezogen. Demnächst werden wir zu entscheiden haben, ob Glückwunschschreiben des Bundespräsidenten an ausländische Staatsoberhäupter aufgrund materieller Verwaltungstätigkeit erstellt werden, oder ob sie einem davon zu unterscheidenden Handeln als Staatsoberhaupt zuzurechnen sind, auf welches das IFG nicht anwendbar ist.

    Eine weitere Einschränkung: Der Zugangsanspruch bezieht sich nur auf amtliche Informationen. Das sind amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnungen bei der Behörde, die um Informationszugang ersucht wird. Passt diese Definition des IFG in unsere Zeit, in der auch Behörden an Social Media teilnehmen? Hierzu ein Beispiel: Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts 2021, nach dem sogenannte Twitter-Direktnachrichten keine amtlichen Aufzeichnungen sind, hat Diskussionen in der Fachwelt ausgelöst. Solche Direktnachrichten wurden von dem beklagten Bundesinnenministerium als Ersatz für Telefongespräche genutzt; sie sind nur zwischen den jeweils kommunizierenden Nutzern lesbar. Sie werden aber auf Servern des Unternehmens Twitter – heute: X – gespeichert und sind dort weiterhin für das Ministerium abrufbar. Solange sie nicht in Akten des Ministeriums aufgenommen werden, dient ihre Speicherung keinen amtlichen Zwecken und besteht kein Informationszugangsanspruch zu ihnen, so das höchstrichterliche Urteil. Die Konferenz der Deutschen Informationsfreiheitsbeauftragten fordert nun, dass öffentliche Stellen ihre Kommunikation über Kurznachrichtendienste, Messenger-Dienste, soziale Medien oder SMS in ihren Behördenakten dokumentieren müssen, um auch solche Informationen für Bürgerinnen und Bürger transparent zu machen.

    Nur solche Informationen können nach dem IFG zugänglich gemacht werden, die bei der Behörde im Antragszeitpunkt tatsächlich vorhanden sind. Mit anderen Worten: Die Behörde muss keine Informationen beschaffen oder auf Antrag extra erstellen. Sie muss auch keine Informationen wiederbeschaffen, die sie vor Eingang eines Zugangsantrages weggegeben hat, etwa an private Stiftungen oder sonstige Dritte. Nur wenn sie sehenden Auges nach Eingang des Antrages Informationen aus der Hand gibt, muss die Behörde sich bemühen, diese Informationen mit gegebenen rechtlichen Mitteln – etwa der Amtshilfe zwischen

    Behörden – wieder zu beschaffen. Auch dazu ein aktuelles Beispiel: Im März dieses Jahres blieb auch in der Revisionsinstanz die Klage einer Journalistin und Historikerin erfolglos, die beim Bundeskanzleramt die Wiederbeschaffung und Einsicht in Unterlagen aus der Amtstätigkeit des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl beantragt hatte, die sie im Besitz der Witwe Helmut Kohls vermutete. Das Oberverwaltungsgericht hatte als Tatsachengericht offengelassen, ob die Witwe solche Unterlagen besitzt. Jedenfalls muss das Bundeskanzleramt keine Unterlagen wiederbeschaffen, über die es schon zum Zeitpunkt des Antrags der Klägerin selbst nicht mehr verfügte. s geht beim Anspruch nach dem IFG also um die Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern an dem Informationsbestand der Behörde, aber nicht um dessen Vervollständigung oder Ergänzung. – Auch dieses Urteil hat Enttäuschung hervorgerufen, interessanterweise auch bei dem deutschen Bundesarchiv, das die Unterlagen aus Helmut Kohls Kanzlerschaft gerne vollständig in seinem Bestand aufnehmen würde. So verständlich der Wunsch nach umfassenden Informationen in der Hand von Behörden ist –

    nicht zuletzt für die historische Forschung: Es gibt nach derzeitiger Rechtslage keinen subjektiv-rechtlichen Anspruch jeder Person auf eine Informationsgewinnung oder Vervollständigung behördlicher Unterlagen.

  2. Ich komme nun zu den Grenzen des Informationszugangsanspruchs:

    Nach deutschem Verfassungsrecht kann es keinen grenzenlosen Informationszugangsanspruch geben. Dieser Anspruch ist verfassungsrechtlich nur insoweit geschützt, als der einfache Gesetzgeber Informationsquellen für die Bürger eröffnet. Dabei muss er entgegenstehendes Verfassungsrecht beachten, also insbesondere Persönlichkeitsrechte Dritter, geistiges Eigentum, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, Berufsgeheimnisse, in gewissem Umfang auch einen Kernbereich der Eigenverantwortung der Exekutive. Um all diese Belange miteinander in eine Balance zu bringen, enthält das IFG zahlreiche Ausnahmetatbestände. Sie dienen zum einen dem Schutz öffentlicher Belange und andererseits dem Schutz privater Interessen. Die Versagungsgründe sind abgestuft: Einige sind zwingend, andere setzen eine Abwägung voraus. Aus Zeitgründen kann ich hier nur auf die in der Praxis relevantesten dieser Ausnahmen eingehen. Auf Versagungsgründe, die dem Schutz der öffentlichen Sicherheit dienen, werde ich anschließend gesondert eingehen.

    Zum Schutz personenbezogener Daten: Zugang zu ihnen darf nur mit Einwilligung des betroffenen Dritten gewährt werden, oder soweit das Informationsinteresse des Antragstellers das schutzwürdige Interesse der dritten Person am Ausschluss des Informationszugangs überwiegt. Damit Behörden diese Abwägung vornehmen und das Gewicht des Informationsinteresses in sie einstellen können, muss der Informationszugangsantrag begründet werden. In der Praxis sind Antragsteller häufig mit einer Schwärzung der Daten Dritter einverstanden, wenn es ihnen auf diese Daten nicht ankommt. In anderen Fällen geht es gerade darum, beispielsweise Details über die Rolle bestimmter Personen in einem behördlichen Vorgang zu erfahren. Daten aus Personalakten unterliegen einem absoluten Schutz. Im Gegensatz dazu treten die Interessen eines Dritten am Schutz seiner personenbezogenen Daten nach dem IFG regelmäßig zurück, wenn es um bestimmte Identifikationsdaten von Bearbeitern einer Behörde, von Gutachtern oder Sachverständigen geht.

    Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zählt zu den häufigeren Ablehnungsgründen in der Praxis. Zu Informationen, die als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse zu qualifizieren sind, darf nur mit Einwilligung des Rechteinhabers

    Zugang gewährt werden. Ob sie solche technischen oder kaufmännischen Geheimnisse darstellen, muss die Behörde jedoch genau prüfen: Zum einen dürfen die Informationen nicht bereits offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sein. Zum anderen muss der Rechtsträger ein anerkennungswürdiges berechtigtes Interesse an ihrer Nichtverbreitung haben. Dies setzt voraus, dass die Informationen aktuell noch wettbewerbsrelevant sind, ihr Wissen also die Wettbewerbsposition des Unternehmens beeinflussen kann.

    Nach 5 Jahren wird – auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – vermutet, dass dies nicht mehr der Fall ist; die Behörde kann diese Vermutung aber widerlegen. Antragsteller müssen einen Zugangsantrag – wie bei den personenbezogenen Daten – auch dann ausnahmsweise begründen, wenn er Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse betrifft.

    Zwei unterschiedliche Versagungsgründe schützen den innerbehördlichen Beratungs- und Entscheidungsprozess. Interne behördliche Meinungsäußerungen und Unterlagen über die Willensbildung innerhalb der Behörde, die inhaltlich für die Entscheidungsfindung erforderlich ist, sind vom Informationszugang auszuschließen, solange ein Zugang die interne Entscheidungsfindung beeinträchtigt. Der Informationszugang ist aber nur aufgeschoben, bis die behördliche Entscheidung getroffen ist. Ausnahmsweise kann der Zugang auch danach noch versagt werden, wenn eine nachträgliche Offenlegung von Informationen über den Entscheidungsprozess eine einengende Vorwirkung auf künftige Entscheidungsprozesse innerhalb der Behörde hätte. Für Entwürfe zu Entscheidungen für unmittelbar vorbereitende Arbeiten und Beschlüsse besteht ein gesonderter Ablehnungsgrund, der in jedem Fall mit dem Erlass der Entscheidung zeitlich endet.

    Weitere Versagungsgründe beziehen sich beispielsweise auf den Schutz internationaler Beziehungen, der Finanz- und Wettbewerbskontrolle, den Schutz laufender Gerichtsverfahren sowie auf den Schutz besonderer Berufs- oder Amtsgeheimnisse oder sonstiger berechtigter Vertraulichkeitsinteressen. Auf sie gehe ich aus zeitlichen Gründen nicht näher ein.

     

  3. In welchen Fällen ist der Informationszugang aus Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgeschlossen?

    Nach meinem begrenzten Eindruck aus dem Fallmaterial, das uns als Revisionsgericht erreicht, wird die öffentliche Sicherheit Antragstellern seltener entgegengehalten als man

    dies vermuten könnte. Das IFG des Bundes schließt einen Anspruch auf Informationszugang aus, wenn das Bekanntwerden der Informationen im konkreten Einzelfall nachteilige Auswirkungen auf sicherheitsempfindliche Belange der Bundeswehr oder Belange der inneren oder äußeren Sicherheit haben kann. Außerdem ist der Zugang zu versagen, wenn das Bekanntwerden der Information die öffentliche Sicherheit gefährden kann. Dafür muss eine Gefahr nach allgemeinen gefahrenabwehrrechtlichen Maßstäben nachgewiesen werden: also die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Nutzung der begehrten Informationen durch den Antragsteller objektiv die Beeinträchtigung der Rechtsordnung, der Einrichtungen des Staates oder eines individuellen Rechtsgutes zu erwarten ist. Das haben deutsche Verwaltungsgerichte zum Beispiel angenommen, als sie 2016 die Klage eines Bürgers abwiesen, der Zugang zu dienstlichen Telefon-Durchwahlnummern der Mitarbeiter eines Jobcenters (also einer staatlichen Arbeitsvermittlungsbehörde) begehrte.

    Das Tatsachengericht hatte festgestellt, dass sich Anrufe des Klägers bei konkreten Bediensteten des Jobcenters nachteilig auf die Aufgabenerfüllung der Behörde auswirken würden, weil sie als Service-Center mit zentraler Anrufvermittlung organisiert war. Wie das Beispiel zeigt, ist die Schwelle zur Annahme einer Gefahr für das Schutzgut der Funktionsfähigkeit einer Behörde nicht besonders hoch. Es dürfte aber häufig schwierig sein nachzuweisen, dass eine Gefahr gerade durch das Bekanntwerden einer Information entstehen kann. In einem anderen Fall wurde 2019 eine solche Gefahr verneint: Ein geschädigter Anleger eines betrügerischen, insolvent gewordenen Finanzdienstleisters begehrte von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – der BaFin – Zugang zu deren Unterlagen aus dem Aufsichtsverhältnis zu dem betreffenden Unternehmen. Zwar war hier keine Gefährdung eines Schutzgutes der öffentlichen Sicherheit erkennbar. Der Zugang zu den beantragten Informationen war aber möglicherweise nach einer spezialgesetzlichen finanzaufsichtlichen Geheimhaltungsregelung ausgeschlossen. Das zu prüfen, war Aufgabe des zweitinstanzlichen Oberverwaltungsgerichts nach der Zurückverweisung des Falls durch das Bundesverwaltungsgericht.

    Viel weitreichender als diese einzelfallbezogene Versagung zugunsten der öffentlichen Sicherheit wirkt die sog. Bereichsausnahme des IFG zugunsten der Nachrichtendienste und sonstiger, mit sicherheitsempfindlichen Aufgaben betrauten Behörden des Bundes: Es ist die einzige Bereichsausnahme im IFG, und sie nimmt unabhängig vom Inhalt der konkret begehrten Informationen den gesamten Verwaltungsbereich der Nachrichtendienste (und Behörden mit vergleichbar sicherheitsempfindlichen Aufgaben) vom Anwendungsbereich des IFG aus. Damit müssen weder das Bundesamt für Verfassungsschutz noch der

    Bundesnachrichtendienst oder der Militärische Abschirmdienst amtliche Informationen gegenüber Bürgerinnen und Bürgern offenbaren, und zwar unabhängig davon, ob einzelne Unterlagen Aufschluss über ihre Arbeitsweise, ihre Quellen oder sonstige geheimhaltungsbedürftige Informationen geben könnten. Die Berechtigung einer solch umfassenden Ausnahme ist in Fachkreisen zur Informationsfreiheit nach wie vor umstritten, ihre einfachgesetzliche Existenz aber ebenso unbestreitbar. Anzumerken ist, dass die Presse gegenüber den Nachrichtendiensten einen verfassungsrechtlichen Auskunftsanspruch haben kann, für den keine generelle Bereichsausnahme besteht. Stattdessen müssen die Informationsinteressen der Presse im Einzelfall mit gegenläufigen schutzwürdigen Interessen abgewogen werden.

    In mehreren Entscheidungen hat das Bundesverwaltungsgericht andere Behörden in die Bereichsausnahme der Nachrichtendienste einbezogen, die nicht ausdrücklich mit ähnlich sicherheitsempfindlichen Aufgaben wie die Nachrichtendienste betraut sind, die aber ebenfalls typischerweise über eine Vielzahl geheimhaltungsbedürftiger Informationen verfügen. Die Bereichsausnahme ist danach funktionsbezogen zu verstehen: Sie soll dem Geheimhaltungsbedarf der Nachrichtendienste umfassend Rechnung tragen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn sie – über den Wortlaut der Ausnahme hinaus – Behörden einbezieht, die aufgrund ihrer Aufgaben besonders eng mit den Nachrichtendiensten verbunden sind und deshalb ebenfalls über viele Unterlagen mit Interna über den Aufbau und die Arbeitsweise der Nachrichtendienste verfügen. Das gilt für das Bundeskanzleramt als Aufsichtsbehörde des Bundesnachrichtendienstes und Koordinierungsstelle aller Nachrichtendienste; es gilt aber auch für das Bundesjustizministerium, das die Fachaufsicht über den Generalbundesanwalt ausübt, der wiederum mit Aufgaben der Spionageabwehr betraut ist. Bezöge man solche Behörden nicht funktionsbezogen in die generelle Ausnahme vom IFG ein, könnten die Nachrichtendienste letztlich über Anträge gegenüber diesen Aufsichtsbehörden auf Zugang zu nachrichtendienstlichen Unterlagen ausgeforscht werden, so die Argumentation der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. – Wenig überraschend, stößt diese Erweiterung in der Fachwelt teilweise auf Kritik. Die Skeptiker sehen keinen Bedarf für eine solche Erweiterung über den Wortlaut der Bereichsausnahme hinaus, denn der erforderliche Schutz nachrichtendienstlicher Informationen bei Drittbehörden könne über die übrigen ausdrücklichen Ausnahmen innerhalb des IFG gewährleistet werden. Darin aber läge ein Bruch der behörden- und aufgabenbezogenen Konzeption der Bereichsausnahme: eine unterlagenbezogene Prüfung von Versagungsgründen im Einzelfall würde bei einer behördlichen Tätigkeit, die vergleichbar schutzwürdig ist mit der von Nachrichtendiensten, kaum einleuchten. Die Rechtsprechung

    erscheint unter diesem Aspekt deshalb konsequent, auch wenn sie zugegebenermaßen großzügig mit dem Gesetzeswortlaut verfährt.

  4. Abschließend einige Stichpunkte zum Verwaltungsverfahren und zur gerichtlichen Kontrolle der behördlichen Entscheidung über den Informationszugang:

    Der Zugang zu Informationen muss bei der Behörde beantragt werden, die über die Informationen verfügungsberechtigt ist. Die Behörde ist auch Ansprechpartnerin, wenn ein Antragsteller Unterlagen einer natürlichen oder juristischen Person des Privatrechts begehrt, die für die Behörde öffentlich-rechtliche Aufgaben erfüllt. Die Entscheidung ist nach dem IFG grundsätzlich innerhalb eines Monats zu treffen – diese Frist ist jedenfalls bei einer Antragsablehnung einzuhalten. Wenn im Verfahren Dritte zu beteiligen sind, deren Belange berührt werden (also insbesondere bei personenbezogenen Daten oder Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen), oder wenn Information zugänglich gemacht werden sollen, kann die Monatsfrist überschritten werden.

    Der Zugangsantrag muss hinreichend bestimmt sein, d. h. er muss die Kriterien benennen, nach denen die Behörde die Informationen aus ihren Beständen heraussuchen kann. Auch wenn dies der Fall ist, kann die Behörde in extremen Einzelfällen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stoßen, wenn besonders umfängliche Unterlagen identifiziert und auf Ablehnungsgründe geprüft werden müssen. Hier sieht das Gesetz eine Einschränkung des Zugangsanspruchs vor, die in der Rechtsprechung behutsam erweitert worden ist auf Fallkonstellationen, in denen die Suche nach den begehrten Unterlagen einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verursachen und die Behörde in der Erledigung ihrer sonstigen Aufgaben in unvertretbarer Weise beschränken würde.

    Diese Ausnahme kann nur für völlig aus dem Rahmen fallende Zugangsanträge gelten, die nicht durch bei der Behörde schon vorhandene digitale Instrumente bewältigt werden können. Sie darf nicht als Rechtfertigung dafür herhalten, als lästig empfundene Anträge abzulehnen. Behörden müssen sich organisatorisch auf die Gewährung von Informationszugang zu ihren Unterlagen einstellen und den damit verbundenen üblichen Aufwand auch personell einkalkulieren. Sie müssen es aber nicht hinnehmen, durch einzelne, unvorhersehbar umfangreiche Anträge in ihrer Arbeit – und im Übrigen auch in der Beantwortung anderer Informationszugangsanträge – blockiert zu werden.

    Aus der Verwaltungspraxis sehen wir immer wieder, dass die Behörden im Dialog mit Antragstellern auf eine Präzisierung des Informationsbegehrens hinwirken, so dass es bearbeitet und der Zugang gewährt werden kann. Wo zunächst in zwangsläufiger Unkenntnis der behördlichen Datenbestände sehr breit gefragt wird, kann so in vielen Fällen gemeinsam ein erfolgversprechendes Informationsgesuch herausgearbeitet werden.

    Gegen eine ablehnende Entscheidung ist zunächst Widerspruch einzulegen und nach dessen Zurückweisung die Verpflichtungsklage zum Verwaltungsgericht zulässig. Spiegelbildlich können betroffene Dritte, deren schutzwürdige Belange durch eine stattgebende Zugangsentscheidung betroffen sein können, gegen sie mit der Anfechtungsklage vorgehen. Die Verwaltungsgerichte prüfen die behördliche Entscheidung grundsätzlich vollumfänglich nach. Sie erkennen nur in einem einzigen Fall einen eingeschränkt überprüfbaren behördlichen Entscheidungsspielraum an: Wenn es nämlich um nachteilige Auswirkungen eines Informationszugangs auf die internationalen Beziehungen geht. Der Hintergrund für die ansonsten umfassende gerichtliche Prüfung ist, dass die deutsche Verfassung – das Grundgesetz – ein Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz einräumt. Es darf nur unter sehr engen Voraussetzungen und auf gesetzlicher Grundlage eingeschränkt werden, um der Verwaltung eingeschränkt nachprüfbare Entscheidungsspielräume einzuräumen.

    Ergänzend zum gerichtlichen Rechtsschutz kann sich jeder an den Bundesbeauftragten für die Informationsfreiheit (der gleichzeitig für den Datenschutz zuständig ist) wenden, wenn er seine Rechte nach dem IFG als verletzt ansieht. Dort wird die behördliche Entscheidung in einem niedrigschwelligen und kostenlosen Verfahren nachgeprüft. Der Bundesbeauftragte kann aber allenfalls eine Beanstandung gegenüber der Behörde aussprechen, die einen Fehler der Entscheidung feststellt, ohne rechtlich verbindlich und durchsetzbar zu sein.

    Die Behörden können nach einer speziellen Bundesverordnung Gebühren nur für schwierigere Auskünfte oder für die Zurückweisung eines Widerspruchs erheben. Die Höhe der Gebühr darf nicht abschreckend sein, sondern sie muss so bemessen sein, dass der Informationszugang wirksam in Anspruch genommen werden kann.

  5. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe mit einem optimistischen Ausblick:

Wir Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter werden weiterhin mit spannenden Fragen des Informationsfreiheitsrechts befasst. Welche Informationen muss der Bundespräsident offenlegen? Gehören Gutachten der wissenschaftlichen Dienste der Parlamente zur Verwaltungstätigkeit oder zur Gesetzgebung? Muss Zugang zu Wirtschaftsprüfer-Gutachten für eine Behörde gewährt werden, oder unterfallen sie einem Berufsgeheimnis? Dürfen behördliche Bescheide, mit denen Kraftfahrzeuge wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung zurückgerufen – also in die Werkstatt geschickt – werden, herausgegeben werden? Wie entwickelt sich der Begriff der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im Verhältnis zu unionsrechtlichen Regelungen?

Schon vor vielen Jahren wurde das Zeitalter der Informationsgesellschaft ausgerufen. Davon blieb auch das Verhältnis von Bürgern und Staat nicht unberührt. Seither haben einander in immer schnellerem Tempo Generationen von Datenverarbeitungstechnologien abgelöst. Die technische Entwicklung verleiht auch den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an eine zunehmende Transparenz des Staates weitere Dynamik: So sind bereits Projekte umfangreicher Plattformen sowohl von Behörden als auch von nichtstaatlichen Vereinigungen in Arbeit, die staatliche Informationen aktiv öffentlich zugänglich machen und mit privaten Wissensbeständen verknüpfen, beispielsweise im Umweltbereich. Hinzu kommen durchsetzungsstarke und ideenreiche Nichtregierungsorganisationen.

Sie initiieren und bündeln Informationsersuchen an Behörden und verfolgen sie mithilfe spezialisierter Anwaltskanzleien bis zu den Höchstgerichten weiter. In Deutschland haben sich einige von ihnen beispielsweise zur Plattform „FragDenStaat.de“ zusammengeschlossen. Einen Paradigmenwechsel hin zu aktiven Veröffentlichungspflichten können Transparenzgesetze bewirken, die ich eingangs erwähnte, die sich aber auf der Bundesebene derzeit allenfalls unscharf abzeichnen.

Auch wenn sich die Formen der Informationsteilhabe von Bürgerinnen und Bürgern verändern, bleibt die grundlegende Herausforderung doch bestehen: den voraussetzungslosen Zugangsanspruch mit entgegenstehenden Belangen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen, um Belange Dritter zu schützen und die Funktionsfähigkeit staatlicher Aufgabenerledigung zu sichern. Der deutsche Gesetzgeber hat entschieden, dass wir beides brauchen – die gut informierten, Staat und Gesellschaft mitgestaltenden Bürgerinnen und Bürger, aber auch einen handlungsfähigen Staat. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte leistet für den Ausgleich zwischen beidem – ich bin

überzeugt: in Deutschland, Frankreich und Italien gleichermaßen – auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Das Aktenzugangsverfahren in Italien anhand aktueller Rechtsprechung des Staatsrats.

Dr. Thomas Mathà LL.M., Consigliere di Stato

Agenda

1. Das Transparenzprinzip in der italienischen Rechtsordnung
2. Die normative Entwicklung des Aktenzugangsrechts
3. Das Aktenzugangsverfahren
3.1 Individualzugang
3.1.1 Beteiligungsrechte im Verwaltungsverfahren
3.2 Kollektivzugang
3.2.1 Der einfache Bürgerzugang
3.2.2 Der allgemeine Bürgerzugang
4. Ausnahmen und Grenzen des Kollektivzugangs
5. Gerichtlicher Rechtsschutz
6. Bedeutende Judikatur zum Zugangsrecht

Transparenz > Sichtbarkeit der Kontrolle der Machtausübung und Maßtab für die Wahrnehmung von Verantwortung in der öffentlichen Verwaltung
Transparenz = Gegenstück der Vertraulichkeit, die notwendig ist, um das Handeln der öffentlichen Verwaltung nicht zu gefährden
ein zentrales Instrument um individuelle Rechte und Freiheiten zu
gewährleisten
Transparenz steht also für die Verfügbarkeit öffentlicher und privater Informationen und Daten zum Zwecke der Nachvollziehbarkeit öffentlichen Handelns
dem Transparenzprinzip folgt das Recht auf Information, das aber in der italienischen Verfassung (1948) nicht ausdrücklich genannt ist
Dieses wird traditionell von Art 21 Verf abgeleitet (Meinungsfreiheit) und über die Öffentlichkeit von bestimmten Daten und über den Aktenzugang gewährleistet

Das Zugangsrecht ist aber nicht unbegrenzt, sondern erfährt durch den Schutz der öffentlichen und privaten Vertraulichkeit Grenzen, die ebenso von der Verfassung geschützt sind
Das Transparenzprinzip gewährleistet aber auch die von Art. 97 Verf geforderte Unparteilichkeit der öffentlichen Hand und die gute Verwaltung
Transparenz = organisatorisches Leitkriterium der Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung zwecks Erfüllung des Effizienzprinzips des Verwaltungshandelns
Dabei war in Italien wie in vielen europäischen Staaten diese Entwicklung nur zögerlich und konnte sich nur sehr langsam gegen eine überwiegende Vertraulichkeit im öffentlichen Handeln durchsetzen

Noch 1957 sah die wichtigste Rechtsgrundlage für Staatsbedienstete (E.T. Nr. 3/1957) ein generelles Amtsgeheimnis vor
Erst mit der grossen Verwaltungsreform Italiens im Jahr 1990 erfolgte eine positivrechtliche Kodifikation, vorher war dies ein mühsamer Weg über die Gerichtsbarkeit
Ein erster Schritt war das GvD 157/1990, welches den Zugang zu öffentlichen Daten grundsätzlich vorsah.
Aber erst die Reform des Bürgerzugangs 2013 und des allgemeinen Bürgerzugangs 2016 wo das amerikanische FOIA-Prinzip als allgemein gültiges Recht in die Rechtsordnung eingefügt wurde

Aber der Reihe nach:
Die erste wichtige Rechtsquelle des Zugangsrechts war das fundamentale Gesetz Nr. 241/1990 (Verwaltungsverfahrensgesetz), das ein Zugangsrecht in der öffentlichen Verwaltung eingeführt hat, jedoch nicht auf einer allgemeinen Bürgerbasis, sondern beschränkt auf bestimmte berechtigte Subjekte.
Das Gesetz sieht zweierlei Arten vor:
a) einen Zugang im Verwaltungsverfahren im Wege der Mitbeteiligung des Bürgers (Art. 10) und b) einen grundsätzlich informativen Zugang, ausserhalb eines spezifischen Verfahrens (Art. 22).
Hier spielt das direkte, konkrete und aktuelle Interesse des Subjekts eine Rolle, das einer rechtlich geschützten Position entspricht und in einem Dokument enthalten ist, zu welchem der Zugang begehrt wird (das Informationsrecht ist also aktenbeschränkt und nicht breit).

In einem weiteren Schritt im Jahr 2009 (GD 150/2009) wurde das Transparenzprinzip weiterentwickelt und als Grundsatz des Zugangs definiert, Amtsgeheimnis und Vertraulichkeit werden zur Ausnahme.
2013 schliesslich wird mit dem Bürgzugang durch das GvD 33/2013 ein neues Niveau des Informationsrechtes erreicht und breiter definiert (dem amerikanischen Wesen folgend und nicht nur auf Dokumente begrenzt)
Schliesslich fügt die letzte normative Änderung des GvD 33/2013 mit dem GvD 97/2016 einen allgemeinen Bürgerzugang ein und schafft damit eine unabhängige Rechtsposition (das Recht zu wissen im Wege der open data), ohne subjektive Beschränkung und Begründung des Zugangs.
Dies stellt die diffuse Kontrolle des Staatsbürgers der öffentlichen
Verwaltung dar.
Der Zugang wird eine Umsetzung des Informationsrechts

Dies bedeutet:

Die italienische Rechtsordnung sieht nunmehr 3 Zugangsarten vor:
– spezifischer Aktenzugang
– einfacher Bürgerzugang
– allgemeiner Bürgerzugang
Dies schafft bei Rechtsanwendern stetig Schwierigkeiten.

„transparente Verwaltung“


Die normative Entwicklung des Aktenzugangsrechts

Art. 22 sieht einen Zugang des berechtigten Bürgers zur Einsicht und zur Aushändigung von Kopien vor.

Voraussetzung ist

  • eine aktuelle, direkte und konkrete Rechtsposition
  • ein begründeter schriftlicher Antrag

um die Verhältnismässigkeit der Rechtsanwendung zu gewährleisten

Dabei muss die Verwaltung Kategorien von Dokumenten benennen, die dem Zugang per se aus Vertraulichkeitsgründen entzogen sind und wie lange (andere können hinzukommen, Kategorien nach Art 2 G. 400/1988).

Der Zugang durch das Gesetz 241/1990 entspricht keiner

allgemeinen Bürgerkontrolle des Verwaltungshandelns

Das Gesetz sieht somit taxativ Ausschlussgründe vom Zugang fest und macht umgekehrt alle anderen Fälle zugänglich

Der Gesetzgeber hat als Ergebnis des Zugangsverfahrens vorgesehen:

  • Annahme
  • Ablehnung
  • Verzögerung
  • Beschränkung

Der sog. defensive Zugang (Art. 22 Abs 7) hat dabei die umfangreichste Anwendung: um die Verteidigung von Rechtspositionen gewahrleisten zu können ist der Zugang in jedem Falle möglich, wobei dadurch das Verwaltungsermessen bedeutend eingeschränkt wird.

Dabei wird von einer konkreten Würdigung abgesehen: die Rechtsprechung hat dabei eine wichtige Rolle eingenommen und hat erkannt, dass die Verwaltung dies nicht eigenständig bewerten kann bzw. nur abstrakt erfolgen kann.

Der subjektive Anwendungsbereich wird traditionell weit ausgelegt

(Kernverwaltung, Gesellschaften, Betreiber öffentlicher Dienste)

Ausübungsmodalitäten und Ablehnung des Zugangs

  • stillschweigende Ablehnung nach 30 Tagen (nicht so beim

Bürgerzugang)

  • Bei Verzögerung oder Ablehnung steht eine Beschwerde im Verwaltungs- und im Gerichtswege zu (fakultativ und nicht alternativ)

Beschwerden:

  1. Verwaltungswege: an den örtlich zuständigen Volksanwalt oder an eine Zugangskommission, innerhalb von 30 Tagen, mit stillschweigender Ablehnung, bei Befürwortung muss die Behörde innerhalb von 30 Tagen handeln, andernfalls ist der Zugang zu gewähren

Bei persönlichen Daten Dritter wird der Datenschutzbeauftragte involviert (Verfahrensbeantwortung innerhalb von 10 Tagen)

  1. Gerichtswege: Beschwerde beim zuständigen Verwaltungsgericht (Art. 116 VPO) innerhalb von 30 Tagen ab Kenntnis oder Fristverstreichung

3.1.1 Beteiligungsrechte im Verwaltungsverfahren

Nach Artikel 10 des Gesetzes 241/1990 haben diejenigen, gegen die die endgültige Maßnahme unmittelbare Wirkungen entfalten soll oder die von Rechts wegen in sie eingreifen müssen (Art. 7, Abs. 1, Gesetz 241/1990), und jede Person, die durch die Maßnahme beeinträchtigt werden kann (Art. 9, Gesetz 241/1990), ein Recht auf Zugang zu Verwaltungsunterlagen.

Folglich muss der am Verwaltungsverfahren Beteiligte – um den Antrag auf Zugang zu den betreffenden Akten und Dokumenten zu legitimieren – nichts weiter nachweisen, als dass er an diesem Verfahren beteiligt ist.

Auf der Grundlage des GvD 33/2013 (vor der Novelle von 2016)

v.a. aufgrund wachsender Probleme durch Korruption (> Nationale

Antikorruptionsbehörde ANAC)

 

Es wurde ein neuer Bürgerzugang und damit ein unabhängiges Rechts geschaffen, nicht abhängig von einer spezifischen Rechtsposition (öffentlichkeit und Transparenz sind also das geschützte Rechtsgut)

Dem allgemeinen öffentlichkeitsgebot der Verwaltung entspricht das allgemeinen Informationszugangsrecht (Dokumente, Informationen und Daten)

  • keine Aktivlegitimation
  • keine Begründung
  • kostenlos
  • beim Verantwortlichen für Transparenz der Behörde einzureichen

Der Zugang bewirkt die Verpflichtung der Veröffentlichung des beantragten Dokuments auf der institutionellen Website innerhalb von 30 Tagen

Ist die Veröffentlichung bereits erfolgt, Verweis darauf

Bei Ablehnung oder Verzögerungen Ersatzmassnahmen und Beschwerdemöglichkeit

Zuwiderhandlungen in der Verwaltung bewirken Disziplinarmassnahmen

3.2.2 Der allgemeine Bürgerzugang

Novelle von 2016 durch das GvD 97/2016

Neuer «allgemeiner» Zugang wurde geschaffen

Einfacher Zugang: entspricht als korrelatives Rechts den per se zu

veröffentlichenden Daten und Informationen

Allgemeiner Zugang: dient ausdrücklich Formen diffuser Kontrolle der öffentlichen Aufgaben und der Verwendung von Steuergeldern und bezieht sich auch auf Daten und Dokumente (nicht: Informationen!) die darüber hinausgehen

Grenze: rechtlich geschützte Interessen Dritter

Keine subjektive Beschränkung, elektronische Gesuchstellung

Zugangsgewährung erfolgt mittels Verhältnismässigkeitswürdigung

(Transparenz vs andere private und öffentliche Interessen)

Verpflichtung zur Mitteilung an allfällige Gegenbetroffene mit Recht auf Stellungnahme (und Verpflichtung zur Begründung)

Antrag muss mit abschliessender begründeter Massnahme beantwortet werden, keine stillschweigende Ablehnung

Bei gänzlicher oder teilweiser Ablehnung oder Stillschweigen ist ein Antrag auf erneuter Prüfung an den Antikorruptions und Transparenzverantwortlichen der Behörde möglich.

Besonderes Verfahren bei persönlichen Daten

Rechtsschutz:

  • Beschwerde beim VWG
  • Beschwerde beim Volksanwalt (regionale und lokale

Verwaltungen) (Verfahren wie beschrieben)

Gegeninteressierte können bei positiver Zugangsmassnahme Antrag
auf erneute Bewertung erheben

Kodifizierte Ausnahmen (oder Grenzen) sind private und öffentliche Interessen, die durch den Zugang Schaden leiden könnten

  • absolute Ausnahmen
  • relative Ausnahmen Absolute Ausnahmen:
  • Staatsgeheimnis
  • Zugangsverbot durch Gesetz (einschliesslich 24 G 241/1990) Relative Ausnahmen:
  • öffentliche Ordnung und Sicherheit, Nationale Sicherheit, Verteidigung und militärische Fragen, internationale Beziehungen, Fragen der Finanz- und Wirtschaftsstabilität und –politik des Staates, Untersuchungen von Verbrechen und ihre Verfolgung, reguläre Inspektionstätigkeit

Dazu kommen bei privaten Tätigkeiten:

  • Fragen des Datenschutzes
  • Briefgeheimnis
  • wirtschaftliche Interessen, einschliesslich Fragen des geistigen Eigentumsrechts, Autorenrechte und Handelsgeheimnis

Bei relativen Ausnahmen hoher Grad an Verwaltungsermessen

Erlass von Anwendungsrichtlinien durch ANAC (in Zusammenarbeit mit dem Datenschutzbeauftragten)

Zuständig ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit (ausschliessliche Zuständigkeit nach Art. 133 GvD 33/2013: Verbindung von Rechten und gesetzlich geschützten Interessen, wo die Verwaltung ihre Aufgaben wahrnimmt) nach Massgabe der VPO (sowohl für den Individual- als auch den Kollektivzugang)

Besonderheiten:

  • kein Anwaltszwang
  • besondere Fristen
  • strafferes Verfahren (Beratungszimmer, keine öffentliche Verhandlung, Begründung in vereinfachter Form)

Zweifel gibt es, aufgrund der fehlenden normativen Regelung:

  • bei der prozessualen Verfahrensabwicklung im Falle des Stillschweigens beim allgemeinen Bürgerzugang
  • Rechtsschutz des Gegenbetroffenen

Zweifel gibt es auch hinsichtlich der fehlenden Űbereinstimmung der substantiellen Rechtsposition des Antragstellers (jedermann) und des Beschwerdeführers (Interesse und Legitimation)

Die Rechtsprechung hat dazu erkannt, dass dies auch in der Klagebefugnis widergespiegelt wird

Es wird die These vertreten, dass dadurch keine neue Popularklage entstanden ist (der Antrag des Bürgers ermöglicht die rechtliche Differenzierung zum quivis de populo).

  1. Gegen Entscheidungen und gegen das Stillschweigen über Anträge auf Zugang zu Verwaltungsunterlagen und zum Schutze des Rechts des Bürgers auf Zugang zu Verwaltungsunterlagen im Zusammenhang mit der Nichteinhaltung der Pflichten zur Transparenz der Verwaltung kann innerhalb von dreißig Tagen ab der Kenntnis von der angefochtenen Entscheidung oder ab dem Zustandekommen des Stillschweigens Rekurs durch Zustellung an die Verwaltung und an mindestens einen Gegenbetroffenen eingebracht Es findet Artikel 49 Anwendung. Die Frist für die Erhebung von Anschlussrekursen oder für die Vorlage von zusätzlichen Gründen beträgt dreißig Tage.
  2. Während der Anhängigkeit eines Verfahrens, mit dem das Gesuch auf Zugang zusammenhängt, kann der in Absatz 1 vorgesehene Rekurs mit einem vorher der Verwaltung und den Gegenbetroffenen zuzustellenden Antrag eingebracht werden, der im Sekretariat der Abteilung, welcher der Hauptrekurs zugewiesen worden ist, zu hinterlegen ist. Über den Antrag wird getrennt vom Hauptverfahren mit Beschluss oder mit dem Urteil, das den Rechtsstreit erledigt,
  3. Die Verwaltung kann durch einen dazu ermächtigten eigenen Bediensteten vertreten und

verteidigt werden.

  1. Das Gericht entscheidet mit Urteil in vereinfachter Form; bei Vorliegen der Voraussetzungen ordnet es die Vorlage und, wenn vorgesehen, die Veröffentlichung der verlangten Unterlagen innerhalb einer Frist an, die in der Regel dreißig Tage nicht überschreiten darf, wobei es, falls erforderlich, die Art und Weise der Vorlage vorschreibt.
  2. Die Bestimmungen dieses Artikels finden auch auf Rechtsmittelverfahren

 

Der Rechtsschutz nach Art 5 GvD 33/2013 betrifft Massnahmen der Behörde oder des Antikorruptionsverantwortlichen, nicht aber im Falle des Stillschweigens

Das Verfahren zielt also insbesondere auf die Feststellung des

Zugangsrechts ab.

Im Falle des Stillschweigens beim allgemeinen Bürgzugang verbleibt die Klagemöglichkeit nach Art 117 ZPO (Frist 1 Jahr, andere richterliche Möglichkeiten > reine Aufhebung des Ablehnung des Zugangs vs. spezifische Anordnung der Zugänglichkeitsmachung; idS SR, V. Sektion, Urteil Nr. 1121/2020), minderheitl. RSpr. tendiert zur Anwendbarkeit von Art. 116 .

Risiko: 2 Rechtszüge, zuerst nach Art. 117 bei Stillschweigen, und falls Bescheid ablehnend nach Art. 116.

Ablehnungsbescheid: Aufhebungsurteil (SR 3. Sektion, Urteil Nr. 1546/2019) oder auch – falls Begründung der Verwaltung unzureichend – Anordnung der Offenlegung

Das Gericht kann von Amts wegen auch die mangelnde Spezifizität und Ungenauigkeit des Zugangsantrags feststellen (per se ist eine unbestimmte Anzahl an Dokumenten, falls dem Antragsteller unbekannt, zulässig, falls sie zur Verteidigung seiner Rechte diesen, vgl. VwG Bozen, Urteil Nr. 6/2019)

Das Gericht verfügt in jedem Fall über eine umfangreiche Erkenntnismöglichkeit (SR 5. Sektion, Urteil Nr. 807/2020)

Der prozessuale Wandel (Wandel der Klage nach Aktenzugang oder Bürgerzugang im Verfahren) wurde von der Plenarversammlung des Staatsrates bejaht (SR P.V. Urteil Nr. 10/2020).

Im Falle einer Klage des Gegenbetroffenen wegen Verletzung des Datenschutzes stellt sich die prozessrechtliche Frage zur korrekten Anwendung des ritus (beim Bürgzugang bzw. beim Aktenzugang), von der RSpr. aber überwunden und für beide Fälle bejaht.

Ebenso unstrittig ist die Begründungspflicht beim Bürgerzugang im

Falle des Einwands des Gegenbetroffenen (SR 4. Sektion Nr. 5483/2017)

6.        Bedeutende Judikatur zum Zugangsrecht

Rechtsnatur des Zugangsrecht

Staatsrat, PV, Nr. 16/1999, Nr. 6/2006 und Nr. 7/2006) VfGH, Nr. 399/2006

Zugangsrecht aus Verteidigungsgründen Staatsrat, PV, Nr. 10-20-21/2020, Nr. 4/2021 Bürgerzugang

Staatsrat, 3. Sektion, Nr. 1546/2019 und PV Nr. 10/2020 VfGH, Nr. 20/2019

Zugangsform

Staatsrat, PV, Nr. 4 und 5/1999

Subjektiver Anwendungsbereich

  • Verwaltungsbegriff: Staatsrat, PV, 6/2005, 13-16/2016
  • Antragsteller: Staatsrat, PV, 7/2012

Grenzen des Zugangs Staatsrat, PV, Nr. 11/2007 Zugang zu Steuerzahlkarten Staatsrat, PV, Nr. 4/2002

Conseillère d’État:

Fr. Rozen Noguellou

(Vortrag folgt)

Das IFG NRW im Lichte der Rechtsprechung des OVG NRW und seine Auswirkungen auf die ministerielle Verwaltungspraxis.

Dr. Andreas Christians, Ministerialdirigent im Ministerium der Justiz des Landes NRW

Vortrag im Rahmen der VERDIF-Tagung Düsseldorf, 20.10.2023

nach einigen einführenden Worten zu der Rechtslage in NRW (I.), schließe ich einen Blick auf die Herausforderungen der Verwaltung durch Informationsansprüche aus meiner Perspektive der Ministerialverwaltung an (II.), um diese im dritten Teil anhand eines konkreten aktuellen Falles zu veranschaulichen (III.).

I.

Im föderalen Staat der Bundesrepublik Deutschland gibt es nicht nur das IFG des Bun- des für seine Behörden, sondern auch entsprechende Gesetze auf der Länderebene, derzeit in 14 der 16 Länder. D.h. zwei Länder (Bayern, Niedersachsen) haben derzeit keine entsprechende Regelung. Das ist möglich, weil es sich um eine rechtspolitische Entscheidung und – nach allgemeiner Meinung – nicht um einen sich aus allgemeinen Grundätzen ergebenden verfassungsrechtlichen Anspruch handelt.1

Diese vorhandenen Landesgesetze sind keineswegs einheitlich nach dem Vorbild des Bundes gestaltet, sondern zumeist eigenständige Zugänge mit einem sehr unter- schiedlichen Schutzniveau.

Das NRW-Gesetz stammt vom 1.1.2002. NRW war damit 4 Jahre vor dem Bundesge- setz das 4. Land, das den Informationsanspruch regelte. Vorläufer war – aber nur be- reichsspezifisch – das Umweltinformationsgesetz (UIG) des Bundes, das bis 2003 auch für die Länder galt.

Das IFG regelt die „passive“ Information aufgrund eines geltend gemachten An- spruchs. Die nächste Stufe hin zu einem freien Daten-/Informationszugang bildet ein Transparenzgesetz, wie es z.B. Hamburg besitzt, in dem ein proaktiver Zugang („O- pen-Data-Strategie“) verfolgt wird.

Das NRW-Recht ist etwas großzügiger zugunsten des auskunftssuchenden Bürgers als das Bundesrecht, im Ländervergleich etwa oberes Mittelfeld. Auf diese Unter- schiede möchte ich nicht insgesamt näher eingehen, aber sie zeigen eine Bandbreite von Anschauungen und möglichen Regelungsweisen auf, die als „benchmark“ in den politischen Diskussionen um eine Fortentwicklung des Informationsrechts in den je- weiligen Ländern durchaus ihre Relevanz haben.

Als Zweck des IFG NRW wird in dessen § 1 angegeben, den freien Zugang zu den bei den öffentlichen Stellen vorhandenen Informationen zu gewährleisten und die entspre- chenden Voraussetzungen dafür festzulegen. Als Ziele wurden im Gesetzgebungspro- zess genannt, Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz behördlicher Ent- scheidungen zu fördern und zur Korruptionsbekämpfung beizutragen.2

Zentral für die Pflichten der Behörden ist die Regelung der Ablehnungsgründe und ihre Interpretation durch die Verwaltungsgerichte des Landes. Und diese Auslegung ist bis- lang zumeist sehr eng und streng gewesen, d.h. die Rechtsprechung war sehr bürger- freundlich.

Mein Eindruck ist, dass nach einer ersten Phase, in der die Rechtsprechung zumeist zulasten der Verwaltung entschieden hat, wir uns derzeit auf die Fallkonstellationen zubewegen, in denen ernste Belange der Verwaltung in Frage stehen. Im Übrigen ha- ben die Vorschriften durch die Rechtsprechung zwischenzeitlich deutliche Konturen erhalten.

Zur anfänglichen Streitkultur mag beigetragen haben, dass die Behörden anfangs stär- ker gegen eine extensive Interpretation der Vorschriften vorgegangen sind, um ihre Spielräume nicht über Gebühr kampflos preiszugeben. Es war immer auch meine Hal- tung, Positionen nicht vorschnell zu räumen. Die Behörde muss selbst ihre Belange verteidigen, andere werden es für sie nicht tun!

II.

Wenn der Gesetzgeber die Verwaltung zur Transparenz verpflichtet, dann richtet sie sich selbstverständlich auch an diesem Ziel aus. Die Open-Government-Strategien zielen darauf, möglichst viele Informationen dem Bürger proaktiv zugänglich zu ma- chen. Dies ist in aller Regel unproblematisch für die Akteure in der Verwaltung, da der gesamte Prozess bereits bewusst danach ausgerichtet werden kann. Die Informati- onstechnologien haben in dieser Hinsicht auch vieles in der praktischen Handhabung erleichtert.

Darauf hat sich – so mein Eindruck – die Verwaltung auch weitgehend eingestellt, so dass sich hier in der Praxis wenige Konfliktfelder ergeben. Hier ist eher die Diskussion relevant, in welcher Weise Dritte tatsächlich in der Lage sind, aus den zahlreichen bereitgestellten Informationen Nutzen zu ziehen.

Schwieriger sind die Konstellationen, in denen der Informationsanspruch unverhofft, zur Unzeit oder rückwirkend relevant wird. Sie bringen Herausforderungen für die Ver- waltung mit sich, die zu Schwierigkeiten in der praktischen Arbeit führen, mit denen umgegangen werden muss. In welcher Weise die Behörden dies tun, ist – soweit ich feststellen konnte – in Deutschland bislang nicht systematisch aufgearbeitet worden. Die der Transparenz verpflichteten Kräfte lasten der Verwaltung an, die Vorschriften vielfach zu missachten oder zu unterlaufen.3 Empirisch belegt ist das nicht, aber von Verwaltungsseite wird dem auch nicht – soweit ersichtlich – durch differenzierte Pub- likationen entgegengetreten.

Man ist daher auf Erfahrungswissen angewiesen und kann verlässlich nur aus dem schöpfen, was in den gerichtlichen Streitverfahren an Sachverhalten und Haltungen zutage getreten ist.

Das Bemühen um größere Transparenz wird auch in anderen Rechtsbereichen rele- vant, in denen sich sodann ähnliche Fragestellungen ergeben, etwa im Datenschutz- recht hinsichtlich des Anspruchs auf Auskunft über die über eine Person gespeicherten Daten oder hinsichtlich der Informationsansprüche des Parlaments gegenüber der Re- gierung.

Gewiss wird es mitunter auch die Motivation geben, aus den Akten zutage tretendes eigenes Versagen nicht offenbaren zu müssen. Das sind aber Ausnahmefälle, die ju- ristisch eindeutig zu bewerten sind und lediglich in der Bearbeitung mühsam sein mö- gen. Sie prägen nicht die Haltung der öffentlichen Verwaltung.

Mich interessieren die legitimen Belange, die durch Informationspflichten berührt wer- den können. Folgende Herausforderungen ergeben sich aus meiner Sicht für die Ver- waltung:

  1. Bedürfnis nach Vertraulichkeit

    Überall dort, wo Menschen sich in Problemlagen, deren schlussendliche Lösung noch nicht absehbar ist, als Entscheider bewegen müssen, gibt es Unsicherheiten, anfäng- liche Fehleinschätzungen, verworfene Lösungsansätze etc. Solange ein Vorgang nicht

    abgeschlossen ist, will man Derartiges nicht offenbart sehen, um die eigene Position im weiteren Verhandlungsprozess nicht zu schwächen.

    Auch taktische Erwägungen in solchen Prozessen will man naturgemäß der Öffentlich- keit und der Gegenseite nicht vorzeitig preisgeben müssen. Das gilt für politische Pro- zesse, aber natürlich auch für Vertragsverhandlungen. Ein solches Bedürfnis ist legi- tim, weil es zur Effizienz der öffentlichen Verwaltung beiträgt. Wenn ich meine Karten zu früh auf den Tisch legen muss, ist meine Position geschwächt. Dieses Anliegen ist auch im Kern legitim, denn ungeachtet der Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) verbleiben ihr Entscheidungsspielräume.

    Dem versuchen die Vorschriften des IFG NRW Rechnung zu tragen, indem der Schutz des Willensbildungsprozesses der Behörde als Ausnahmetatbestand anerkannt wird (§ 7 IFG NRW).

    Ein solches Bedürfnis wäre nicht legitim, wenn die Behörde lediglich früheres Versa- gen vertuschen wollte. Deshalb muss spätestens nach Abschluss des Willensbildungs- prozesses die Information erteilt werden. Auch müssen ggf. Daten, die lediglich Grund- lage einer Entscheidungsfindung sind, vorab zugänglich gemacht werden.4 Dies ist aber bisweilen durchaus problematisch, z.B. hinsichtlich eines Gutachtens5, das ein unerwünschtes Ergebnis erbracht hat und dem letztlich – aus möglicherweise durch- aus guten Gründen – nicht gefolgt werden soll. Es wäre aber jenseits der Details als solches prima facie ein starkes Argument für die Gegenseite, würde es offenbart wer- den müssen. Diese Konstellationen sind vor allem in politischen Prozessen delikat, wenn noch offen ist, welche Position sich durchsetzt, und die Überzeugungskraft der eigenen Argumente nicht beeinträchtigt werden soll.

  2. Späte Erkenntnis

    Eine besondere Problematik ergibt sich in den häufigen Fällen, in denen Akten gene- riert worden sind, ohne zu bedenken, dass sie möglicherweise später öffentlich zu- gänglich sein könnten. Man hat die Relevanz nicht gesehen oder die Rechtslage noch nicht bedacht. Es werden Missverständnisse oder Missdeutungen befürchtet, die man nicht mehr einfangen zu können glaubt. Dies führt dann häufig zu einer deutlichen Abwehrhaltung der Behörden bezüglich sensibler Inhalte.

  3. Anpassungsverhalten

    Die schmerzliche Erfahrung, einmal nicht für die Öffentlichkeit Bestimmtes offenbart haben zu müssen, erzeugt ein Anpassungsverhalten in der Verwaltung: es wird sorg- fältiger bedacht, was schriftlich niedergelegt wird und als notwendiger Aktenbestand- teil betrachtet werden muss.

    Man darf die These wagen: eine höhere Transparenz nach außen bewirkt eine gerin- gere Transparenz nach innen. Manches wird im persönlichen Gespräch in kleinem Kreis geklärt. Vermerke werden „adA“ – „außerhalb der Akten“ gefertigt und nur klein- räumig kommuniziert. Allfällige Beteiligungen werden zunächst vermieden, der betei- ligte Sachverstand ist daher mitunter eingeschränkt, obwohl er im Haus verfügbar wäre. Das Ergebnis bleibt damit qualitativ hinter dem Möglichen zurück.

    Mailverkehr hilft rechtlich nicht, da er – wenn von Bedeutung – zu verakten ist, auch wenn regelmäßige Datenlöschungen hier Rekonstruktionen häufig faktisch unmöglich machen.

    Unausgegorenes wird nur noch einer Handakte zugeführt. Der Akteninhalt bleibt damit auch für den internen Gebrauch weniger aussagekräftig und hilfreich für eine spätere Bearbeitung durch eine andere Person.

    Beispiel:

    Ein weiteres – kleines – Beispiel sind die Geschäftsverteilungs- und Organisati- onspläne, die nach § 12 IFG NRW allgemein zugänglich zu machen sind. Ver- bunden mit einer höheren Sensibilität hinsichtlich des Schutzes der persönli- chen Daten der Mitarbeiter gehen mehr und mehr Behörden dazu über, keine personenscharfe Aufstellungen mehr zur Verfügung zu stellen. Diese Transpa- renz geht dann aber auch z.B. für die Kommunikation der Ministerien unterei- nander verloren.6

  4. Rechte Dritter

    Mehr und mehr in den Blick – auch z.B. im Recht der parlamentarischen Untersu- chungsausschüsse – kommt der Aspekt, dass die Rechte beteiligter oder betroffener Dritter berücksichtigt werden müssen. Muss ich mich gegenüber der Steuerbehörde oder im Strafverfahren vollends offenbaren, bedeutet dies nicht, dass auch andere da- rum wissen müssten. Es ist die Aufgabe der zur Information verpflichteten Behörde, dafür Sorge zu tragen, dass diese Rechte Dritter bei der Informationsweitergabe ge- wahrt bleiben. Dies folgt bereits aus deren Grundrechten (Art. 1 Abs. 3 GG) sowie aus

    dem Rechtstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und bedarf keiner ausdrücklichen gesetz- lichen Regelung.7

    Beispiel:

    Bei der Vorlage der Akten zum „Missbrauchsfall Lügde“ für den Untersuchungs- ausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags waren die persönlichen Da- ten der betroffenen Kinder und Personen durch Anonymisierung bzw. Pseudo- nymisierung zu schützen. Zeitweise mehr als 20 pensionierte Kriminalbeamte arbeiteten die Akten über mehr als ein Jahr entsprechend auf.8

  5. Aufwand

    Nach der Statistik der Plattform „FragDenStaat“, die Bürgeranfragen unterstützt, wur- den seit 2001 16.204 Anfragen an NRW-Behörden gerichtet, die zu 49% erfolgreich waren.9

    IFG-Verfahren sind für die betroffenen Arbeitseinheiten mitunter sehr aufwändig. Welche Informationen sensibel sind, erschließt sich häufig nur dem unmittelbaren Sachbearbeiter und Wissensträger. Diese Dinge lassen sich zumeist schlecht arbeits- teilig delegieren. Sie binden wertvollen Sachverstand, der für die eigentlichen Aufga- ben nicht mehr zur Verfügung steht. Auch frustriert es, durch solche Vorgänge von der eigentlichen Arbeit abgehalten zu werden, man bewirkt beim Projekt selbst keinen Fortgang mehr. Zudem sind für derartige Aufgaben in den Verwaltungen – schon weil sich Derartiges in aller Regel nicht konkret absehen lässt – keine zusätzlichen Kapa- zitäten geschaffen worden; vielleicht noch bei dem Generalisten, der zentral für die Bearbeitung der eingehenden Ersuche zuständig ist und sich in den Feinheiten des IFG-Rechts auskennt, nicht aber in den Fachbereichen, die die inhaltliche Arbeit leis- ten müssen.

    Die Gebühren, die erhoben werden können, stehen zumeist in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Aufwand, da sie ja nicht abschrecken sollen (Äquivalenz- statt Kosten- deckungsprinzip10). In NRW kann bei außergewöhnlichem Verwaltungsaufwand, wenn Daten abgetrennt oder geschwärzt werden müssen, die Gebühr maximal 1.000 € be- tragen.11 Der Prüfungsaufwand für die Berechtigung des Anspruchs selbst darf zudem nicht in die Bemessung einbezogen werden.12 Es ist nicht übertrieben anzunehmen, dass die Bearbeitung von IFG-Gesuchen sehr häufig tatsächlich vierstellige Euro-Be- träge verschlingt, nicht selten auch fünfstellige. Das wird in Ansätzen erhoben, um die Gebühr festsetzen zu können, aber nicht öffentlich gemacht. Aus dem Gebührenauf- kommen lässt sich jedenfalls nicht annähernd korrespondierendes Personal finanzie- ren. Die betroffenen Fachbereiche müssen dies also mit den vorhandenen Ressourcen

    bewältigen. Ein unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand kann nur in sehr engen Grenzen als Versagungsgrund vorgebracht werden.13

  6. Missbrauch

Die Motive des Informationsbegehrenden spielen grundsätzlich keine Rolle und kön- nen daher nicht hinterfragt werden. Da auch den Gebühren letztlich keine abschre- ckende Wirkung zukommen soll, hat man es mit einer Vielzahl von Begehren zu tun, deren Ertrag für das Gemeinwesen begrenzt sein dürfte. Empirisches Material zu den Größenverhältnissen gibt es aber meines Wissens nicht. Punktuelle Anfragen in be- grenzter Zahl sind in der Regel zu bewältigen. Wir beobachten aber, dass die Informa- tionsrechte auch bewusst instrumentalisiert werden, um Behörden lahmzulegen,

Beispiel:

wie z.B. aktuell im Bereich der Rückforderung von Corona-Beihilfen mit dem Aufruf einer Interessengemeinschaft im Internet, massenweise DSGVO-An- träge zu stellen, um die betroffene Verwaltungseinheit lahmzulegen.

Eine allgemeine Missbrauchsklausel gibt es im NRW-Recht nicht, wie in der Literatur zurecht beklagt wird.14 Der Einwand einer missbräuchlichen Verwendung einer erlang- ten Information (§ 6 Abs. 2 IFG NRW) wird auch nur selten und in Extremfällen entge- gengehalten werden können.15

Beispiel:

Mindestens 850 Begehren, um Justizbehörden Arbeit zu machen, um sich für eine als ungerecht empfundene gerichtliche Entscheidung zu rächen.16

III.

Lassen Sie mich abschließend die Spannungslinien an einem aktuellen konkreten Bei- spiel aus meiner eigenen beruflichen Praxis aufzeigen:

Die Justizminister der Länder arbeiten in der sog. Justizministerkonferenz zusammen. Sie tagt zweimal im Jahr und beschäftigt sich mit Themen der Justizverwaltung und der Gesetzgebung auf dem Gebiet der Rechtspolitik. Zur Vorbereitung ihrer Meinungs- bildung und Beschlüsse werden häufig Arbeitsgruppen auf Beamtenebene eingesetzt, die in einem schriftlichen Bericht einen Problemkreis aufarbeiten und Vorschläge ent- wickeln. Nach der (ungeschriebenen) Geschäftsordnung der Konferenz werden solche Berichte nur öffentlich gemacht, wenn alle 16 Länder zustimmen.

Gegenstand eines Rechtstreits war nun das Begehren eines Klägers auf Herausgabe zweier Berichte, hinsichtlich derer die allseitige Zustimmung im Länderkreis nicht her- beizuführen war. Da NRW zum damaligen Zeitpunkt den Vorsitz in der Justizminister- konferenz innehatte, richtete sich das Begehren gegen unser Haus. In der Sache hät- ten wir als NRW bei den beiden Berichten keine Bedenken gegen die Herausgabe gehabt, hinsichtlich eines der Berichte wäre sie sogar unser expliziter Wunsch gewe- sen.

Gleichwohl konnte der Anspruch unter keinen Umständen anerkannt werden, weil mit ihm ein zentrales Format der Länderzusammenarbeit zerstört worden wäre. Eine fun- diertere Meinungsbildung im Länderkreis gerade auch zu komplexeren Fragen ist nur durch derartige Arbeitsgruppen auf Beamtenebene möglich. Sie durchdringen zum ei- nen die Problematik und loten zum anderen im Länderkreis mehrheitsfähige Positio- nen aus. Die Berichte werden in aller Regel so verfasst, dass sie als solche von allen mitarbeitenden Ländern mitgetragen werden können, auch wenn diese nicht jeder Feststellung oder Anregung zustimmen und sich das Arbeitsgruppenergebnis schluss- endlich nicht zu eigen machen.

Die politische Ebene ist zumeist bei der Berichtserstellung nicht involviert, sondern befasst sich erst im Vorfeld der Konferenz mit dem Berichtsergebnis und dem Be- schlussvorschlag. D.h. diese Berichte sind in aller Regel nicht politisch gefiltert und

„abgesegnet“, sondern reines „Beamtenwerk“. Niemand will sich dafür politisch in die Pflicht nehmen lassen. Politisch zählt nur der Beschluss, der auf der Grundlage dieses Berichts gefasst wurde, der dann auch öffentlich kommuniziert wird. Eine Auseinan- dersetzung mit dem Bericht im Detail erfolgt auf der politischen Ebene in aller Regel nicht mehr.

Deshalb kann es viele – gute und weniger gute – Gründe geben, warum ein Land eine Veröffentlichung nicht wünscht. Manche Länder möchten eigentlich gar nichts veröf- fentlicht sehen, um diese Prozesse grundsätzlich geschützt zu lassen, weil es sich mitunter um sensible interne Daten der Landesjustizverwaltungen (z.B. heruntergebro- chene Erledigungszahlen richterlicher Tätigkeit etc.) handelt, die man nicht der Öffent- lichkeit preisgeben will. Andererseits machen rechtspolitische Initiativen nur Sinn, wenn die Erwägungen der Landesjustizverwaltungen kommunizierbar sind, um im wei- teren politischen Meinungsbildungsprozess wirken zu können. Aber gerade das ist möglichweise von einzelnen Akteuren im Länderkreis gerade nicht gewollt. Mitunter möchte man eine politische Position, die man selbst nicht teilt, nicht durch eine mit der gewissen Autorität der Fachministerkonferenz ausgestattete Veröffentlichung gestärkt sehen.

Wäre eine Veröffentlichung der Arbeitsergebnisse unausweichlich, müssten sie mit Blick darauf konzipiert und insbesondere auch durch die politische Ebene freigegeben werden. Dies wäre aber, insb. bei komplexen ergebnisoffenen Fragestellungen, ein derart aufwändiger Prozess, dass ein solches Arbeitsgruppenformat praktisch nicht mehr attraktiv wäre. Die Landesjustizressorts würden sich letztlich weitgehend aus die- ser Art intern intensiver diskutierter und fundierter rechtspolitischer Vorstöße zurück- ziehen.

In diesem Verfahren ging es also um viel! Gleichwohl sah das VG Düsseldorf17 die Voraussetzungen der Ausnahmevorschriften des IFG NRW nicht als gegeben an:

  • § 7 IFG NRW – Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses – sei nicht einschlägig.

    Dieser Prozess werde innerhalb des Ministeriums durch eine Veröffentlichung des Berichtes nicht tangiert, da sein Arbeitsbeitrag aus den Berichten nicht her- ausgefiltert werden könne.18 Die Fachministerkonferenz als solche sei zudem keine – insoweit zu schützende – Behörde des Landes. Überdies bereiteten die Berichte die eigentliche Entscheidungsfindung der Konferenz nur vor. Zudem sei diese mit der Beschlussfassung abgeschlossen.

     

  • Nach § 6 S. 1 Buchst. c) IFG NRW ist der Antrag auf Informationszugang abzu- lehnen, soweit und solange durch das Bekanntwerden der Information Angaben und Mitteilungen öffentlicher Stellen des Bundes und anderer Länder ohne de- ren Zustimmung offenbart würden.

    Das VG argumentierte, bei den Arbeitsgruppenberichten handele es sich nicht um „Angaben oder Mitteilungen“ im Sinne dieser Vorschrift.19 Die Berichte seien nicht aus Beiträgen der beteiligten Länder zusammengesetzt. Sie stellten viel- mehr ein Gemeinschaftsprodukt der Arbeitsgruppe dar, in das nicht mehr diffe- renzierbare Anteile der Mitglieder eingeflossen seien. Daher fehle es am erfor- derlichen Bezug zu einem Land oder mehreren bestimmten Ländern. Die bloße Beteiligung an der Arbeitsgruppe genüge nicht. Der Gesetzgeber hätte nicht von

    „Angaben oder Mitteilungen“ gesprochen, wenn er lediglich jegliche Informatio- nen gemeint habe. Deshalb seien diese Begriffe enger zu verstehen. Angaben würden zu etwas oder über jemanden oder etwas gemacht. Eine Mitteilung sei etwas, was jemandem mitgeteilt werde, wovon jemandem (gezielt) Kenntnis ge- geben werde. Da der Anteil eines einzelnen Landes am Entstehungsprozess aus dem Endprodukt nicht mehr herausgefiltert werden könne, verliere das ein- zelne Land die Datenhoheit über seinen Beitrag.

  • Auch der Ausschlussgrund des § 6 S. 1 Buchst. a) IFG NRW sei nicht gegeben. Danach ist der Antrag u.a. abzulehnen, soweit und solange das Bekanntwerden der Information Beziehungen zum Bund oder zu einem Land beeinträchtigen würde.

Schutzgut – so führt das VG unter Bezugnahme auf die amtliche Begründung20 aus – ist die intraföderale Zusammenarbeit des Landes mit den anderen Län- dern und dem Bund. Die effektive Zusammenarbeit in Arbeitsgemeinschaften und Fachministerkonferenzen erfordert einen kontinuierlichen, ungestörten In- formationsfluss im Länderkreis und gegenüber dem Bund, der nach dem Willen des Gesetzgebers durch die Verabschiedung eines NRW-Gesetzes nicht be- einträchtigt werden soll. Es bedürfe – so das VG Düsseldorf – aber der konkre- ten Feststellung im Einzelfall, dass durch die Freigabe der Information tatsäch- lich eine Beeinträchtigung der Beziehungen erfolgen würde. Bei der Prüfung dieser Tatbestandsvoraussetzungen komme der öffentlichen Stelle weder ein Ermessens- noch ein Beurteilungsspielraum zu.21 Die Zustimmungsverweige- rung der in der Arbeitsgruppe mitwirkenden Länder indiziere allein nicht die Ge- fahr einer Beeinträchtigung der Beziehungen zu anderen Ländern. Das Minis- terium habe vielmehr eine eigenverantwortliche Entscheidung über den Infor- mationszugangsanspruch zu treffen.22

Eine solche Beeinträchtigung sei vorliegend nicht zu erkennen.23 Es handele sich hier um abgeschlossene Vorgänge. Die Arbeit in den Arbeitsgruppen werde nicht mehr berührt. Solche Informationen aus abgeschlossenen Vorgängen seien grundsätzlich weniger schutzwürdig. Geschützt sei der Entscheidungsbil- dungsprozess (vgl. § 7 IFG NRW), nicht das Ergebnis abgeschlossenen Ver- waltungshandelns. Das Land habe nicht überzeugend dargelegt, aus welchem Grund die begehrten Berichte nach wie vor besonders sensibel seien und nicht herausgegeben werden könnten. Es sei bereits zweifelhaft, ob eine bloße Ver- traulichkeitsvereinbarung im Länderkreis den Auskunftsanspruch ausschließen könnte, jedenfalls müsse ein objektiv schutzwürdiges Interesse der Arbeitsgrup- penmitglieder an der Vertraulichkeit gegeben sein.24 Daran fehle es aber vorlie- gend. Die Berichte enthielten keine vertraulich erhobenen oder übermittelten Informationen, die einem Land oder mehreren bestimmten Ländern zugeordnet werden könnten. Es bestehe daher nicht die Gefahr, dass unterschiedliche Be- wertungen oder Einschätzungen der mitwirkenden Länder nach außen dräng- ten.25

Der Klage wurde mithin stattgegeben.

Schon um des Prinzips willen, aber auch als faktischer „Prozessstandschafter“ für die Interessen der Ländergesamtheit wurde Berufung gegen das Urteil eingelegt. Uns hatte besonders enttäuscht, dass das VG die Konsequenz, dass den Ländern für diese Art ihrer Zusammenarbeit faktisch kein geschützter Raum mehr zur Verfügung stünde, in Kauf genommen hat, ohne sich mit dieser Konsequenz näher auseinanderzusetzen. Es hat die einzelnen Tatbestandmerkmale heruntergebrochen und ist bei der Perspek- tive stehen geblieben, es könne nicht sein, dass allein aufgrund von – konkret womög- lich nicht legitim erscheinenden – verweigerten Zustimmungen Dritter das nordrhein- westfälische Informationszugangsrecht ausgehöhlt und „zur Disposition anderer Län- der“ gestellt würde.26 Die Tragweite seiner Entscheidung ist ihm offenbar nicht wirklich bewusst geworden. Dies hätte die Auslegung der recht konkreten gesetzlichen Rege- lungen in § 6 IFG NRW möglicherweise in eine andere Richtung geführt. Dann wäre die Erkenntnis leichter gefallen, dass das Gesetz vermutlich gerade diese Zusammen- arbeit im Länderkreis nicht gefährden wollte.

Das OVG NRW konzentrierte sich in seinem Berufungsurteil vom 23.05.2023 (15 A 47/21, juris) auf den Ausschlussgrund des § 6 S. 1 Buchst. c) IFG NRW – die fehlende Zustimmung der anderen Länder.

Anders als das VG nimmt es mit Rückgriff auf die Gesetzesmaterialien an, dass der Wortlaut nicht einschränkend auszulegen sei: Mit dem Begriffspaar „Angaben und Mit- teilungen“ seien nichts anderes als Informationen gemeint27. Strengere Anforderungen ergäben sich insoweit nicht. Erfasst seien Informationen unabhängig davon, in wel- chem Rahmen sie geflossen seien, und unabhängig von Darstellungsform oder Inhalt. Es komme weder auf eine Geheimhaltungsbedürftigkeit der Information an, noch sei zu prüfen, ob deren Offenbarung irgendeine Beeinträchtigung eines Schutzgutes zur Folge haben könne.28 Die Norm trage vielmehr der fehlenden Verfügungsbefugnis über solche Informationen Rechnung, deren Urheber öffentliche Stellen des Bundes oder anderer Länder seien. Dementsprechend sei auch unerheblich, ob mit der Offen- barung einer „fremden“ Information zugleich deren Urheberschaft oder Herkunft be- kannt würde. Die Arbeitsgruppenberichte stünden den Urhebern in gleichsam gesamt- händerischer Bindung zu. Solange die anderen Länder somit einer Herausgabe nicht zustimmten, sei eine solche durch NRW nicht zulässig.

Ob die Versagung auch auf Buchst. a) – Beeinträchtigung der Beziehungen zum Bund oder anderen Ländern – gestützt werden könnte, ließ das OVG ausdrücklich offen. Zu

§ 7 IFG NRW – Schutz des Entscheidungsprozesses – äußert es sich nicht.

Damit war für uns die Welt wieder in Ordnung. Solange das alle Informationsfreiheits- gesetze in den anderen Ländern auch so vorsehen und die dortigen Gerichte dies ebenso sehen, ist das Format gerettet – aber auch nur solange!

Für uns war klar: wenn wir das Verfahren verloren hätten, hätte das IFG NRW zwin- gend geändert und präzisiert werden müssen, um diese Konstellation als Ausnahme eindeutig zu erfassen. Aber so etwas wäre kein einfacher politischer Prozess, denn die Zeichen der Zeit stehen eher auf weitergehende Transparenz. Aber Politik und Verwaltung brauchen – auch jenseits des sogenannten „Arkanbereichs“ – „geschützte Räume“, die ein Informationsfreiheitsgesetz sachgerecht erfassen und regeln muss.

Und es braucht die Sensibilität der Gerichte zu erkennen, wo die berechtigten Belange der Exekutive in der Handhabung der Vorschriften sachgerecht Niederschlag finden müssen.

Dass wir uns hier stets im Bereich von Ausnahmetatbeständen bewegen und die Ver- waltung ihre legitimen Belange in jedem Einzelfall darlegen und begründen muss, bleibt unbestritten.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!


1 Vgl. Pabst/Frankewitsch, IFG NRW, Kommentar, Baden-Baden 2022, Rdnr. 26 zur Einleitung; aus- drückliche Regelung aber in Art. 21 Abs. 4 LVerf Bdg.

2 Pabst/Frankewitsch, a.a.O., Rdnr. 29 zur Einleitung.

3 Vgl. z. B. Georg Mascolo, in: Süddt. Zeitung vom 29.07.2023, S. 40 – Die im Dunkeln sieht man nicht; Lukaßen, Die Fallpraxis der Informationsbeauftragten, Diss. 2010, S. 177 ff.

4 Pabst/Frankewitsch, a.a.O., Rdnr. 4 a.E. zu § 7.

5 Vgl. z.B. OVG NRW, Urteil vom 26.11.2013 – 8 A 809/12 –, juris.

6 Vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 06.05.2015 – 8 A 1943/13, juris: kein Anspruch auf Zugang zur voll- ständigen Telefonliste eines Verwaltungsgerichts, da die Funktionsfähigkeit des Gerichts beeinträch- tigt würde (§ 6 S. 1 Buchst. a) IFG NRW).

7 VerfGH NRW, Urteil vom 20.04.2021 – VerfGH 177/20 zum Untersuchungsausschuss Kindesmiss- brauch Lüdge.

8 VerfGH NRW, Urteil v. 20.04.2021 – VerfGH 177/20.

9 https://transparenzranking.de/laender/nrw/

10 Pabst/Frankewitsch, a.a.O., Rdnr. 29 f. zu § 11.

11 § 11 IFG NRW i.V.m. §§ 1 S. 2, 3 VerwGebO IFG NRW und Nr. 1.3.3 des Gebührentarifs.

12 Pabst/Frankewitsch, a.a.O., Rdnr. 35 zu § 11.

13 Pabst/Frankewitsch, a.a.O., Rdnr. 93 ff. zu § 5.

14 Pabst/Frankewitsch, a.a.O., Rdnr. 156 zu § 4 und Rdnr. 189 zu § 5.

15 Pabst/Frankewitsch, a.a.O., Rdnr. 123 zu § 6.

16 OVG NRW, Urteil v. 06.10.2022 – 15 A 760/20 – juris.

17 Urteil v. 23.11.2020 – 29 K 1634/19 -, juris.

18 Ebd., Rdnr. 39.

19 Ebd., Rdnr. 49 ff.

20 Amtl. Begründung zu § 6 IFG NRW, LT-Drucks. 13/1311, S. 12, zit. n. VG Düsseldorf, a.a.O., Rdnr. 64.

21 Ebd., Rdnr. 68.

22 Ebd., Rdnr. 73.


23 Ebd., Rdnr. 79 ff.

24 Ebd., Rdnr. 87 und 89.

25 Ebd., Rdnr. 91.

26 VG Düsseldorf, a.a.O., Rdnr. 75.

27 OVG NRW, Urteil v. 23.05.2023 – 15 A 47/21 -, juris, Rdnr. 26.

28 Ebd., Rdnr. 44 ff.

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