Trento

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Der Vollzug der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Deutschland

Dr. Joachim Becker, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Münster

I. Einleitung

Im Sommer des Jahres 2001 reisten Francesco Mariuzzo, Pierre Vincent, unser österreichischer Kollege Erwin Ziermann und ich nach Straßburg. Wir vier bildeten damals den Vorstand der Europäischen Verwaltungsrichtervereinigung, also des im Jahre 2000 gegründeten europäischen Dachverbandes, in dem die nationalen Verwaltungsrichterverbände zusammengeschlossen sind. Zweck der erwähnten Reise im Sommer 2001 war ein Besuch beim damaligen Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Luzius Wildhaber, dem namhaften und über die Grenzen seines Heimatlandes hinaus geschätzten Schweizer Völkerrechtler, dem wir die Europäische Verwaltungsrichtervereinigung vorstellen wollten. Luzius Wildhaber empfing uns ausgesprochen herzlich und freundlich und ließ uns spüren, daß wir für ihn Kollegen waren, Kollegen, die wie er und sein Gerichtshof auch zwar gelegentlich mit aufsehenerregenden und für die Rechtsentwicklung bedeutenden Prozessen betraut waren, aber auch mit mancherlei Alltagsarbeit zu kämpfen hatten, mit zeitraubender Lektüre von Unwichtigem, mit Querulanten, mit ständig steigenden Zahlen von Verfahrenseingängen, nicht zuletzt mit der überlangen Dauer der Verfahren. So erfuhren wir durch ihn auch von dem bedrückenden Umstand, daß der Straßburger Gerichtshof derart viele Beschwerden wegen einer Verletzung von Art. 6 EMRK – Recht auf ein faires Verfahren innerhalb angemessener Frist – zu bearbeiten hatte, daß er selbst nicht mehr in der Lage sei, innerhalb angemessener Frist zu entscheiden. Als wir uns schließlich vom Präsidenten verabschiedeten, gab er uns mit auf den Weg, gerade und auch die Verwaltungsrichter hätten eine besondere Verantwortung dafür, daß die Entscheidungen seines Gerichtshofs beachtet und umgesetzt würden. Dies zu versprechen, schien unserer Delegation leicht; wir werden jedoch sehen, wie schwierig es sich in Wahrheit gestaltet, den Straßburger Entscheidungen auf innerstaatlicher Ebene Geltung zu verschaffen.

II. Von Deutschland zu verantwortende Menschenrechtsverletzungen in Zahlen

Den Berichten der deutschen Bundesregierung zufolge, die die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Gegenstand haben, wurden in den Jahren 2004 und 2005 jeweils etwa 40.000 Individualbeschwerden vor dem Gerichtshof erhoben, im Jahre 2006 waren es ca. 50.500, im Jahre 2007 bereits 54.000 Individualbeschwerden, eine geradezu schwindelerregende Verfahrensflut, wenn man bedenkt, daß im Jahre 1955 lediglich 138 und auch noch Mitte der 80er Jahre lediglich 600 Individualbeschwerden registriert worden waren. Bei allem Anstieg der Eingangszahlen insgesamt ist jedoch in den jüngsten Jahren die Anzahl der gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Beschwerden von ca. 2500 Beschwerden im Jahre 2004 über jeweils etwa 2.100 Beschwerden in den Jahren 2005 und 2006 auf etwa 1500 Beschwerden im Jahre 2007 zurückgegangen. Der größte Teil der Beschwerden wird vom Gerichtshof allein aufgrund der vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen schon für unzulässig erklärt. Das gilt auch für die gegen Deutschland gerichteten Beschwerden, die wegen offensichtlicher Unzulässigkeit gar nicht erst der Bundesregierung zur Stellungnahme übersandt werden. Lediglich in etwa 2 % der Fälle erfolgt gemäß der Verfahrensordnung des Gerichtshofs eine förmliche Aufforderung zur Stellungnahme. In den Individualbeschwerdeverfahren gegen Deutschland, in denen die deutsche Regierung zur Stellungnahme aufgefordert wurde, hat der Gerichtshof im Jahre 2004 in 12 Fällen eine abschließende Entscheidung getroffen, im Jahre 2005 in 27 Fällen, im Jahre 2006 in 22 Fällen und im Jahre 2007 in 75 Fällen. Im Jahre 2004 hat der Gerichtshof eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention in 5 Fällen festgestellt, im Jahre 2005 in 10 Fällen, im Jahre 2006 in 6 Fällen und im Jahre 2007 in 7 Fällen. 7 aus der Sicht der Beschwerdeführer erfolgreiche Fälle. Angesichts der Vielzahl der Verfahren vor dem Straßburger Gerichtshof vielleicht eine verschwindend geringe Zahl – für einen Rechtsstaat wie Deutschland aber eben 7 Fälle zu viel.

III. Vollzug der Entscheidungen des Straßburger Gerichtshofs in Deutschland

Damit sind wir schon beim Kern meines Themas angelangt: Wie werden die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in denen Konventionsverletzungen festgestellt wurden, in Deutschland umgesetzt? Dass Deutschland – ebenso wie alle anderen Konventionsstaaten auch – den Urteilen des Straßburger Gerichtshofs nachzukommen hat, ergibt sich aus Art. 46 EMRK, der in seinem Absatz 1 bestimmt: „Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen.“, und der in seinem Absatz 2 regelt: „Das endgültige Urteil des Gerichtshofs ist dem Ministerkomitee zuzuleiten; dieses überwacht seine Durchführung.“

1. Gerechte Entschädigung nach Art. 41 EMRK

Im Allgemeinen beschränkt sich der Straßburger Gerichtshof auf die Feststellung einer Konventionsverletzung und verurteilt möglicherweise zur Zahlung einer gerechten Entschädigung nach Art. 41 der Konvention. Die Auszahlung dieser Entschädigung an den jeweiligen Beschwerdeführer hat, soweit ersichtlich, was Deutschland betrifft zu keinen nennenswerten Problemen geführt.

2. Wirkung des Urteils nach Art. 46 EMRK

In jüngerer Zeit ist der Gerichtshof aber neben der Feststellung einer Konventionsverletzung mehrfach auch dazu übergegangen, ausdrückliche, präzise Anordnungen zu treffen, die das Ermessen des betroffenen Staates bei der Frage, wie die Straßburger Entscheidung zu vollziehen sei, deutlich einschränken:

a) Pilot judgements zur Behebung struktureller Mängel; Sürmeli-Urteil des Straßburger Gerichtshofs

Der Gerichtshof tut dies zum einen in sog. pilot-judgements, in Musterverfahren also, die große Breitenwirkung haben und die durch Musterentscheidungen abgeschlossen werden, in denen strukturelle Mängel in dem betreffenden Konventionsstaat aufgezeigt und ganz konkrete Anweisungen zu deren Behebung gegeben werden. Bekannte Beispiele sind etwa die Verfahren Broniowski ./. Polen oder Scordino ./. Italien. Mit den pilot-judgements soll eine möglichst schnelle und wirksame Lösung des strukturellen Problems erreicht und nicht zuletzt – gleichsam als ein Akt prozessualer Notwehr, wie Christoph Grabenwarter, Mitglied des österreichischen Verfassungsgerichtshofs, es ausdrückt – eine immer wiederkehrende, arbeitsaufwendige, das Funktionieren des Gerichtshofs lähmende Beschäftigung mit stets denselben Fragen verhindert werden. Der Gerichtshof entspricht mit dieser Entscheidungspraxis einer Empfehlung des den Vollzug der Urteile überwachenden Ministerkomitees, welches in seiner Entschließung vom 12. Mai 2004 den Gerichtshof aufgefordert hatte, auf erkennbare strukturelle Probleme und ihre Ursachen hinzuweisen. Auch die Entscheidung der Großen Kammer des Straßburger Gerichtshofs vom 8. Juni 2006 in Sachen Sürmeli ./. Deutschland ist nach meiner Auffassung als ein solches pilot judgement zu verstehen. Es geht in jenem Fall um einen in Deutschland lebenden jungen Türken, der auf dem Weg zur Schule einen Unfall erlitten und der im Zeitpunkt der Entscheidung des Straßburger Gerichtshofs bereits seit 16 Jahren und 7 Monaten vergeblich auf eine gerichtliche Klärung der von ihm geltend gemachten Schadensersatzansprüche gewartet hatte. Unabhängig davon, daß der Gerichtshof in jener Entscheidung wegen der überlangen Verfahrensdauer zur Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 der Konvention kam, urteilte er, es liege auch ein Verstoß gegen Art. 13 der Konvention – Recht auf wirksame Beschwerde – vor, weil keiner der von der deutschen Bundesregierung in jenem Verfahren ins Feld geführten vier innerstaatlichen Rechtsbehelfe zur Gewährleistung eines zügigen zivilgerichtlichen Verfahrens (Verfassungsbeschwerde, Dienstaufsichtsbeschwerde, Schadensersatzklage wegen Amtspflichtverletzung des die Sache dilatorisch behandelnden Richters und schließlich ein außerordentlicher, ungeschriebener Rechtsbehelf in Gestalt einer Untätigkeitsbeschwerde), weil also insoweit keiner der derzeit gegebenen deutschen Rechtsbehelfe als wirksam im Sinne von Art. 13 der Konvention angesehen werden könne. Die beste Lösung sei insoweit ein präventiver Rechtsbehelf zur Beschleunigung von Verfahren, weil er die Verletzung von Art. 6 Abs. 1 der Konvention verhindere und sie nicht nur nachträglich wiedergutmache. Schließlich ermutigt der Gerichtshof Deutschland ausdrücklich zu einer schnellen Verabschiedung eines Gesetzes mit Vorschriften, wie sie mit dem kurz vor der Bundestagswahl im September 2005 vorgelegten Gesetzentwurf zur Einführung einer neuen Untätigkeitsbeschwerde beabsichtigt gewesen seien; Hinweise darauf, so der Gerichtshof in seinem Urteil vom 8. Juni 2006, daß diese Initiative aufgegeben worden sei, bestünden nicht. Wir werden an späterer Stelle untersuchen müssen, ob diese hoffnungsvolle Erwartung des Straßburger Gerichtshofs wirklich gerechtfertigt war.

b) Konkrete Anweisungen in Einzelfällen

In einzelnen Urteilen hat der Straßburger Gerichtshof auch jenseits der beabsichtigten Behebung struktureller Probleme, also bei der Entscheidung über die Folgen von Rechtsverletzungen in singulären Fallkonstellationen, dem beklagten Staat ausdrückliche Handlungsanweisungen gegeben.

aa) Das Görgülü-Urteil des Straßburger Gerichtshofs

Einen solchen Fall, in dem der Gerichtshof die Wahl der Mittel zur Umsetzung der Entscheidung nicht allein dem beklagten Staat, also Deutschland, überlassen hat, stellt das Verfahren Görgülü ./. Deutschland dar. Es ging in jenem Fall um das Sorge- und Umgangsrecht eines in Deutschland lebenden türkischen Vaters für sein und mit seinem leiblichen Kind, das von der Kindesmutter zur Adoption freigegeben und in eine Pflegefamilie aufgenommen worden war. Die deutschen Gerichte hatten dem Kindesvater den Umgang mit seinem Sohn und das Sorgerecht für ihn verweigert. Der Straßburger Gerichtshof entschied indessen durch Urteil vom 26. Februar 2004, hierdurch werde das Recht des Kindesvaters auf Achtung seines Familienlebens gem. Art. 8 der Konvention verletzt. In jener Entscheidung führte der Gerichtshof u. a. aus: „Der Gerichtshof weist darauf hin, dass sich die Hohen Vertragsparteien in Art. 46 EMRK verpflichtet haben, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen, wobei das Ministerkomitee dessen Durchführung überwacht. Daraus folgt u. a., dass ein Urteil, in dem der Gerichtshof eine Verletzung feststellt, den beklagten Staat rechtlich nicht nur zur Zahlung der als gerechte Entschädigung zugesprochenen Beträge an den Betroffenen, sondern auch dazu verpflichtet, unter Aufsicht des Ministerkomitees allgemeine oder individuelle Maßnahmen in seiner Rechtsordnung zu treffen, um die vom Gerichtshof festgestellte Verletzung abzustellen und den Folgen so weit wie möglich abzuhelfen. Im Übrigen ist der beklagte Staat vorbehaltlich der Überwachung durch das Ministerkomitee in der Wahl der Mittel, mit denen er seinen rechtlichen Verpflichtungen nach Art. 46 EMRK nachkommen will, frei, sofern sie mit den Schlussfolgerungen vereinbar sind, zu denen der Gerichtshof in seinem Urteil gelangt. Das bedeutet im vorliegenden Fall, dass dem Beschwerdeführer mindestens der Umgang mit seinem Kind ermöglicht werden muss.“ Letztlich ist es dieser letzte, von mir hervorgehobene Satz in der Görgülü-Entscheidung des Straßburger Gerichtshofs, der dem deutschen Staat eine ganz konkrete Handlungsanweisung auferlegt hat, gewesen, der zu einer für das deutsche Recht richtungsweisenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe vom 14. Oktober 2004 geführt hat. Mit dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die Rechtskraftwirkung des Art. 46 EMRK deutlich relativiert und ein klares Spannungsverhältnis zum Straßburger Gerichtshof begründet:

bb) Der Görgülü-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht bestätigt in seinem Beschluss vom 14. Oktober 2004 zunächst noch einmal seinen bereits früher vertretenen Standpunkt, wonach die EMRK, die der deutsche Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert und ihr einen entsprechenden Rechtsanwendungsbefehl erteilt habe, in der deutschen Rechtsordnung im Range eines (einfachen) Bundesgesetzes stehe. Diese Rangzuweisung führe dazu, dass deutsche Gerichte die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes auch im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden hätten. Einen unmittelbar verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab bildeten die Gewährleistungen der EMRK aber nicht. Die Gewährleistungen der Konvention würden jedoch die Auslegung der deutschen Grundrechte und die rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes beeinflussen. Der Text der Konvention und die Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs dienten auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen, sofern dies nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führe. Auch wenn das Grundgesetz die deutsche öffentliche Gewalt programmatisch auf die internationale Zusammenarbeit und auf die europäische Integration festgelegt habe, verzichte es doch nicht auf die in dem letzten Wort der deutschen Verfassung liegende Souveränität. Aus Art. 46 der Konvention folge, dass die Urteile des Gerichtshofs für die an dem Verfahren beteiligten Parteien verbindlich seien und damit auch begrenzte materielle Rechtskraft hätten. Die materielle Rechtskraft im Individualbeschwerdeverfahren sei durch die personellen, sachlichen und zeitlichen Grenzen des Streitgegenstandes begrenzt. In der Sachfrage erlasse der Gerichtshof ein Feststellungsurteil darüber, ob die betroffene Vertragspartei die Konvention gewahrt oder sich in Widerspruch zu ihr gesetzt habe; eine kassatorische Entscheidung, die die angegriffene Maßnahme der Vertragspartei unmittelbar aufheben würde, ergehe hingegen nicht, mit anderen Worten: Der Straßburger Gerichthof könne keinen Verwaltungsakt, kein Urteil und keine Rechtsnorm aufheben. Regelmässig könne nur die betroffene Vertragspartei, also der beklagte Staat, beurteilen, welche rechtlichen Handlungsmöglichkeiten in der nationalen Rechtsordnung für die Umsetzung des Entscheidungsausspruchs bestünden. Verwaltungsbehörden und Gerichte könnten sich nicht unter Berufung auf eine Entscheidung des Gerichtshofs von der durch das Grundgesetz garantierten rechtsstaatlichen Kompetenzordnung und von der Bindung an Gesetz und Recht lösen. Zur Bindung an Gesetz und Recht gehöre aber auch die Pflicht zur Berücksichtigung der Gewährleistungen der Konvention und des Straßburger Gerichtshofs, was zumindest erfordere, dass die entsprechenden Texte und Judikate zur Kenntnis genommen würden und in den Willensbildungsprozeß des jeweiligen Entscheidungsträgers (Gesetzgeber, Behörde, Gericht) einfließen müßten. Hingegen sei einem Urteil des Straßburgers Gerichtshofs, welches feststelle, daß die deutsche Gerichtsentscheidung die Konvention verletze, keine die Rechtskraft dieser Entscheidung beseitigende Wirkung beizumessen; mit anderen Worten soll also der Straßburger Richterspruch die rechtskräftige deutsche Gerichtsentscheidung unangetastet lassen. Im konkret zu entscheidenden Fall habe das deutsche Oberlandesgericht, welches dem Beschwerdeführer nach wie vor den Umgang mit seinem Kind verweigere, sich nicht hinreichend mit der Entscheidung des Straßburger Gerichtshofs auseinandergesetzt. Wenn ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Wiedergabe dieses Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2004 relativ breiten Raum gegeben habe – eine Anmerkung in diesem Zusammenhang: Insgesamt mußte das Bundesverfassungsgericht in der Sache Görgülü viermal entscheiden, weil sich eine deutsche Behörde und ein deutsches Oberlandesgericht beharrlich weigerten, dem Urteil des Straßburger Gerichtshofs Rechnung zu tragen – wenn ich also den Beschlusstext recht umfänglich zitiert habe, so deshalb, um Ihnen zu verdeutlichen, in welchem Maße das Bundesverfassungsgericht – auch wenn es zum guten Schluß hervorhebt, das nationale Gericht müsse den Straßburger Richterspruch bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen – dem Urteil des Gerichtshofs letztlich doch nur eingeschränkte Bedeutung beimisst und zugleich den in anderen Fällen zur Entscheidung berufenen deutschen Instanzrichter vor die nahezu unlösbar erscheinende Aufgabe stellt, gleichsam einen Spagat zwischen dem Vorrang des deutschen Rechts einerseits und der gleichzeitigen Berücksichtigung der Konvention und der Entscheidungen des Straßburger Gerichtshofs andererseits zu vollziehen.

cc) Kritik am Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts

In der juristischen Fachwelt ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sehr unterschiedlich aufgenommen worden und auch Gegenstand von großem öffentlichen Interesse gewesen. In einem Interview mit dem Spiegel, einer großen deutschen Wochenzeitschrift, beklagte Luzius Wildhaber, der Beschluss aus Karlsruhe tue ihm weh, und Georg Ress, der damals noch amtierende deutsche Richter am Straßburger Gerichtshof, äußerte in diplomatischer Weise die Befürchtung, der Karlsruher Beschluss sei im Ausland mißverständlich. Um es mit meinen Worten weniger diplomatisch zu formulieren: Besonders in den jüngeren Konventionsstaaten in Mittel- und Osteuropa könne die Karlsruher Entscheidung gleichsam als Freibrief dafür verstanden werden, den Konventionsschutz auf großer Front aufzuweichen. Namhafte Autoren haben mit ehrenwerten, die Karlsruher Richter bislang aber nicht überzeugenden Argumenten versucht, dem Bundesverfassungsgericht entgegenzutreten: Ein Konventionsrecht habe als allgemeine Regel des Völkerrechts Übergesetzesrang; innerhalb der deutschen Verfassung komme einem Konventionsrecht formeller Verfassungsrang zu. Gegenstimmen von ebensolchem Gewicht haben aber die Karlsruher Entscheidung als notwendige Klarstellung des Verhältnisses zwischen Konventions- und nationalem Recht durchaus begrüßt, und mancher deutsche Richter, der um seine richterliche Unabhängigkeit fürchtete, wird die Zustimmung zur Entscheidung aus Karlsruhe mit einiger Freude aufgenommen haben. Die Diskussion ist noch nicht abgeschlossen und wird gewiß stets aufs Neue angefacht, wenn sich der deutsche Richter vor die Frage gestellt sieht, in welcher Weise er die Straßburger Entscheidungen zu beherzigen habe.

c) Konkrete Befolgung der Urteile des Straßburger Gerichtshofs

Schauen wir uns abschließend in der Praxis den konreten Vollzug der oben geschilderten Fälle aus jüngerer Zeit an, in denen vom Straßburger Gerichtshof eine Konventionsverletzung durch den deutschen Staat festgestellt wurde. Schon seit längerem informiert das Bundesjustizministerium die Öffentlichkeit in jährlichen Berichten über die Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs in Verfahren gegen Deutschland und hat seinem im laufenden Jahr erstellten Bericht vom Juni 2008, was gewiß zu begrüßen ist, erstmals ein Kapitel beigefügt, in dem die Umsetzung der gegen Deutschland ergangenen Entscheidungen nachgezeichnet wird.

aa) Zahlung einer Entschädigung/ Urteilsübersetzung

Diesem Bericht zufolge informiert Deutschland das Ministerkomitee, welches neben seinem eigenen Sekretariat von einer besonderen Vollstreckungsabteilung des Sekretariats des Europarats, unterstützt wird, dem „Department for the Execution of Judgements of the European Court of Human Rights“, über die Zahlung einer gerechten Entschädigung, sofern der Gerichtshof dem Beschwerdeführer eine solche zuerkannt hat oder sie etwa im Rahmen einer gütlichen Einigung zugesagt wurde. Außerdem wird als generelle Maßnahme der Bundesregierung die Übersetzung aller Urteile des Gerichtshofs in deutschen Sachen veranlasst, dem Europarat zur Veröffentlichung im Internet zur Verfügung gestellt sowie allen Gerichten und Behörden, die mit dem der Beschwerde zugrundeliegenden Fall betraut waren, bekannt gemacht. Es sei hier jedoch die kritische Frage aufgeworfen, ob und in welcher Weise sich beispielsweise diejenigen, die die überlange Dauer von Verfahren zu verantworten haben, wirklich von derartigen Bekanntmachungen beeindrucken lassen werden.

bb) Sonstiger Vollzug

(1) Was den Fall Görgülü anlangt, in dem es um die Kontakte des Vaters zu seinem Kind ging, dürften mittlerweile alle Anforderungen des oben näher geschilderten Urteils vom 26. Februar 2004 erfüllt sein. Natürlich hat der Kindesvater die ihm zugesprochene Entschädigung unmittelbar nach Eintritt der Endgültigkeit des Straßburger Urteils erhalten. Was für ihn aber noch viel wichtiger ist: Nachdem in den vergangenen Jahren schon große Fortschritte im Umgang des Vaters mit seinem Sohn erzielt werden konnten, hat Anfang dieses Jahres das zuständige Amtsgericht dem Vater einstweilig die alleinige elterliche Sorge übertragen; das Kind lebt nun beim Vater, der, übrigens ebenso wie die Pflegeeltern, vom Jugendamt beraten und unterstützt wird.

(2) Weiter zu dem oben angesprochenen Fall Sürmeli, in dem der Gerichtshof die Forderung nach einem wirksamen innerstaatlichen Rechtsbehelf in Deutschland zur Gewährleistung eines zügigen Verfahrens formuliert hatte. Zwei Jahre nach dem damaligen Urteilsspruch, in ihrem Bericht vom Juni 2008, mußte die Bundesregierung einräumen, es bestehe zwischen ihr, den beteiligten Kreisen sowie dem Deutschen Bundestag noch Beratungsbedarf über die Ausgestaltung eines Rechtsbehelfs im Sinne der Entscheidung des Straßburger Gerichtshofs; die Arbeiten an einem wirksamen nationalen Rechtsbehelf hätten deshalb noch nicht abgeschlossen werden können. Zu den angesprochenen „beteiligten Kreisen“ zählen unter anderen die Anwaltschaft, die die Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde begrüßt, und der insbesondere die Richter aus der ordentlichen Justiz vertretende Deutsche Richterbund, der einen solchen zusätzlichen Rechtsbehelf für überflüssig hält.

IV. Schluss:

Das Verfahren Herbst ./. Deutschland Ich vermag dem, liebe Kolleginnen und Kollegen, bis auf ein gleichsam wort- und hilfloses Schulterzucken nichts hinzufügen – außer der Schilderung des die Gemüter zu Recht erregenden Falles Herbst ./. Deutschland, in dem der Straßburger Gerichtshof am 11. Januar 2007 ein Urteil erlassen hat, welches, soweit ersichtlich, noch seiner endgültigen Umsetzung in Deutschland bedarf: Ein Student der Rechtswissenschaft wollte im Jahre 1979, also vor nunmehr knapp 30 Jahren, sein Staatsexamen ablegen, erzielte aber bei den schriftlichen Arbeiten nur mangelhafte und ungenügende Leistungen. Es schloß sich ein verwaltungsgerichtliches Verfahren erster Instanz an, welches 6 Jahre dauerte. Ich muß an dieser Stelle für unsere italienischen und französischen Kollegen einflechten, daß es nach deutschem Recht grundsätzlich möglich ist, Entscheidungen der Behörden, die für die Abnahme staatlicher Prüfungen zuständig sind, einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zu unterziehen mit dem Ziel, eine Neubewertung der mißlungenen Prüfungsarbeiten zu erstreiten, etwa dann, wenn eine vom Prüfungskandidaten erarbeitete Lösung vom Prüfer als falsch bewertet wird, obwohl sie in Wahrheit zumindest vertretbar ist. Der schon vor dem Verwaltungsgericht unterlegene Prüfungskandidat verfolgte sein Begehren durch alle Instanzen ohne Erfolg weiter. In der gleichen Angelegenheit wandte sich der durchgefallene Kandidat auch an die Zuvilgerichte mit dem Ziel, den Staat auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung in Anspruch zu nehmen: Unter Bezugnahme auf die Gutachten von 15 Rechtswissenschaftlern machte er geltend, seine schriftlichen Arbeiten seien fehlerhaft bewertet worden. Das Nichtbestehen der Prüfung habe bei ihm eine psychische Erkrankung mit der Folge ausgelöst, daß er sein Studium nicht habe beenden und den von ihm erstrebten juristischen Beruf nicht habe ergreifen können, was zu einem Verdienstausfall von mehreren hunderttausend Mark geführt habe. Dieser Prozeß zog sich ebenfalls über alle Instanzen und eine Zeitspanne von sage und schreibe 18 Jahren und 9 Monaten hin. Endlich sprach ein Oberlandesgericht, das aufgrund eines Sachverständigengutachtens zu dem Ergebnis kam, die Bewertung der beiden Examensarbeiten sei rechtswidrig fehlerhaft gewesen und die Prüfer hätten ihre Amtspflichten verletzt, dem Kläger einen Schadensersatz in Höhe von 1500 Deutschen Mark, umgerechnet also etwa 750 €, und auch ein relativ geringes Schmerzensgeld zu. Nach Abschluß des Zivilprozesses rief der Kläger im Jahre 2002 den Straßburger Gerichtshof an und rügte, über seine Klagen sei unter Verletzung von Art. 6 Abs. 1 der Konvention nicht innerhalb angemessener Frist entschieden worden. Der Gerichtshof wies in seinem Urteil vom 11. Januar 2007 – nach knapp 5jähriger Dauer des dortigen Verfahrens – die Beschwerde als unzulässig zurück, soweit sie eine überlange Verfahrensdauer vor den Verwaltungsgerichten rügte, weil Art. 6 Abs. 1 der Konvention auf Verfahren, die im wesentlichen die Bewertung von Kenntnissen und Erfahrungen in Schul- oder Hochschulprüfungen beträfen, keine Anwendung finde. Hingegen hatte der Kläger in Bezug auf die Rüge der überlangen Verfahrensdauer vor den Zivilgerichten teilweise Erfolg. Zwar könne der Gerichtshof keine Vermutungen darüber anstellen, wie sich die berufliche Laufbahn des Klägers entwickelt hätte, wenn die deutschen Gerichte rechtzeitig über seine Schadensersatzklagen entschieden hätten. Wegen des vom Kläger erlittenen immateriellen Schadens sei ihm aber eine Summe in Höhe von 10.000 € zuzusprechen. Obwohl der Kläger ein erhebliches Interesse an einem schnellen Abschluss des Zivilprozesses gehabt habe, habe das zuständige nationale Gericht erst nach sieben Jahren die Anhörung von Sachverständigen angeordnet. Insgesamt sei mit einer Verfahrensdauer von mehr als 18 Jahren die in Art. 6 Abs. 1 der Konvention normierte angemessene Frist überschritten. Wir können vermutlich nur annähernd erahnen, in welcher Weise dieses ganz außergewöhnlich lange Verfahren, welches sicher nicht als Ruhmesblatt in die deutsche Rechtsgeschichte eingehen wird, das gesamte Leben des Klägers, der übrigens mittlerweile das Pensionsalter erreicht hat, überschattet haben wird; vielleicht ist es sogar zu seinem einzigen Lebensinhalt geworden. Am Ende steht nach drei Jahrzehnten lediglich eine Entschädigungssume, für die der Kläger sich vielleicht einen gebrauchten Kleinwagen wird kaufen können. Auch dies sollten wir bedenken, wenn wir, über die juristische Dimension eines solchen Falles hinausgehend, den Vollzug der Entscheidungen des Straßburger Gerichtshofs diskutieren.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Herr E ist Eigentümer eines in der Gemeinde G gelegenen Grundstücks, das in seinem vorderen, zur Straße gelegenen Teil mit einem Wohnhaus bebaut ist; der hintere, 2.500 qm große Grundstücksteil wird als Garten- und Rasenfläche genutzt. An den hinteren Grundstücksteil schließt sich ein kommunaler Friehof an. Die Gemeinde G beschließt einen Bebauungsplan, der den vorderen Grundstücksteil als Allgemeines Wohngebiet festsetzt; der hintere Grundstücksteil wird für eine Erweiterung des bestehenden Friedhofs in Anspruch genommen. E greift den Bebauungsplan vor dem zuständigen Oberverwaltungsgericht mit einem sog. Normenkontrollantrag an und macht geltend, der Bebauungsplan leide an einem gravierenden Abwägungsfehler. Es sei für ihn, E, unzumutbar, künftig in unmittelbarer Nähe der Gräber zu wohnen. Im Verlaufe des Prozesses führt der Berichterstatter des mit der Sache befaßten Senats des Oberverwaltungsgerichts eine Ortsbesichtigung durch und erörtert die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten. Zugleich weist er sie darauf hin, der Senat erwäge eine Entscheidung durch (im schriftlichen Verfahren ergehenden) Beschluß. Darauf gibt der Anwalt des E zu Protokoll, für E und ihn komme eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht in Betracht. Durch Beschluß vom 1. August 2008 weist der Senat den Normenkontrollantrag des E ohne mündliche Verhandlung ab. In der Begründung seines Beschlusses führt der Senat u. a. aus, er habe angesichts des vom Berichterstatter durchgeführten Ortstermins und der dabei stattgefundenen Erörterung der Sach- und Rechtslage eine mündliche Verhandlung für nicht erfoderlich gehalten.

Mit seiner Revision an das Bundesverwaltungsgericht macht E geltend, das Oberverwaltungsgericht habe nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen. Sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt. G verweist demgegenüber auf die Bestimmung des § 47 Absatz 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung. Wie wird das Bundesverwaltungsgericht entscheiden?

  • 47 Absatz 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung lautet: “Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß.”

 

Der aus Algerien stammende A reiste 1996 im Alter von 22 Jahren nach Deutschland ein. Im Jahre 2000 heiratete er die Deutsche D und erhielt daraufhin eine Aufenthaltserlaubnis. 2001 und 2002 wurden die Kinder K1 und K2 geboren. Mitte 2004 trennten sich die Eheleute. D zog mit den Kindern in ein Frauenhaus. 2006 wurde die Ehe geschieden. A hielt zu seinen Kindern keinerlei Kontakt; mit der D verabredete Besuche an den Wochenenden hielt A nicht ein. Nachdem A wegen verschiedener Straftaten zu einer 8monatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden war, lehnte die zuständige Ausländerbehörde mit Verfügung vom 1. Juli 2008 die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab, wies den A aus und drohte ihm die Abschiebung an. A erhob Widerspruch. Zwei Wochen nach Erhalt der Verfügung vom 1. Juli 2008 bat A beim Jugendamt um Umgangskontakte zu seinen Kindern. Das Jugendamt lehnte diesen Antrag unter Hinweis auf Bedrohungen ab, die A gegenüber D ausgesprochen hatte. Daraufhin stellte A beim Amtsgericht einen Antrag auf Umgangsregelung, über den noch nicht endgültig entschieden ist. D ist mit einem Umgang des A mit den Kindern nicht einverstanden. Eine dem A zunächst erteilte Duldung verlängerte die Ausländerbehörde nicht.

Als A nach Algerien abgeschoben werden soll, wendet er sich an das zuständige Verwaltungsgericht und sucht um einstweiligen Rechtsschutz gegen die Verfügung vom 1. Juli 2008 sowie um einstweilige Verpflichtung der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach. Die Ausländerbehörde wendet ein, A habe sich jahrelang um seine Kinder nicht gekümmert und verhalte sich rechtsmißbräuchlich, wenn er sich um ein Umgangsrecht ersichtlich nur deshalb bemühe, um einer Abschiebung zu entgehen. Wie wird das Verwaltungsgericht entscheiden?

Die Vollstreckung der Urteile des EGMR in Österreich

Dr. Heinrich Zens, Hofrat am Verwaltungsgerichtshof Wien, Präsident der Europäischen Verwaltungsrichtervereinigung

I./ Einleitung Egregi presidenti, cari colleghi, in occasione del convegno dell’Associazione dei giudici amministrativi tedeschi, italiani e francesi sono davvero lieto ed onorato di poter riflettere con Voi tutti sull’argomento scelto, esponendo il punto di vista austriaco; ma prima di esporvi la mia breve relazione colgo l’occasione per ringraziare di tutto cuore il Presidente Francesco Mariuzzo per avermi accordato la possibilità di partecipare a questo incontro e per la calda accoglienza da parte di tutti i colleghi Italiani. Il convient aussi de prendre cette occasion pour saluer châleureusement tous les collègues francais et de vous remercier pour votre interêt concernant la position Autrichienne relatif à notre sujet. Meine herzlichen Grüße gelten schließlich allen deutschen Kollegen mit denen uns Österreicher ja vieles (einige behaupten sogar die Sprache) verbindet. Dies gilt jedenfalls für wesentliche, wenngleich nicht für alle Aspekte unserer Rechtssysteme. Einen Vortrag soll man vielleicht mit einer guten Nachricht beginnen. Nach Ovid liegen die guten Zeiten ja schon weit zurück, und so stammt auch meine erste gute Nachricht aus Österreich für Freunde der Konvention – und das sind wir ja hoffentlich alle – aus dem Jahr 1964. Seither steht die EMRK in Österreich nämlich in Verfassungsrang. Ob die (sonstige) Entwicklung in Österreich, im Besonderen was die Umsetzung der Urteile des EGMR betrifft, den Metamorphosen des Ovid entspricht und einem ehernen Zeitalter zustrebt, mögen Sie liebe Kolleginnen und Kollegen, selbst beurteilen. II./ Die Stellung der EMRK im österreichischen Normengefüge Wie bereits erwähnt, kommt der Konvention gemäß dem BVG BGBl. Nr. 59/1964 in Österreich Verfassungsrang zu. Entsprechend wurde auch das Protokoll Nr. 11 im Jahr 1998 als verfassungsändernder Staatsvertrag vom Nationalrat ratifiziert. Eine spezielle Transformation durch Erlassung von Gesetzen wurde nicht angeordnet. Die hier interessierenden Art. 41 und 46 EMRK sind daher unmittelbar anwendbares österreichisches Verfassungsrecht. Dies bedeutet, dass die EMRK in der Fassung des 11. Protokolls zu innerstaatlichem Verfassungsrecht in einem – nach allgemeinen Regeln zu beurteilenden – Derogationsverhältnis steht. Gegenüber einfachem Gesetzesrecht besteht ein solches Derogationsverhältnis nicht. Soweit einfache Gesetze der EMRK widersprechen, sind sie verfassungswidrig. Da das österreichische Recht einen „Anwendungsvorrang“ der Bundesverfassung nicht kennt, bleiben solche Gesetze im Prinzip anwendbar. Sofern anfechtungsbefugte Gerichte oder unabhängige Verwaltungssenate jedoch solche Gesetze anzuwenden hätten, sind sie im Falle von Verfassungsbedenken verpflichtet an den Verfassungsgerichtshof den Antrag zu stellen, solche Normen als verfassungswidrig aufzuheben. Daneben besteht die Verpflichtung zur verfassungskonformen Auslegung einfacher Gesetze. III./ Befolgungspflicht Aus Art. 46 Abs. 1 EMRK resultiert die Verpflichtung der Vertragsstaaten, die Urteile des EGMR „zu befolgen“. Abgesehen von der Zuerkennung einer Entschädigung gemäß Art. 41 EMRK haben diese Urteile feststellende Wirkung. Dennoch werden aus solchen Feststellungen weitere Pflichten des Vertragsstaates, wie die Beendigungspflicht, die Wiedergutmachungspflicht und die Nichtwiederholungspflicht abgeleitet. Das hier behandelte Thema „Vollstreckung der Urteile des EGMR“ betrifft wohl die Umsetzung dieser aus der Feststellung einer Konventionsverletzung oder aus der Zuerkennung einer Entschädigung resultierenden Pflichten. 1./ Erfolgte die Konventionsverletzung durch positive legistische Maßnahmen des innerstaatlichen einfachen Gesetzgebers, so liegt es grundsätzlich an diesem, der Gehorsamspflicht durch Aufhebung oder Abänderung des konventionswidrigen Gesetzes Rechnung zu tragen. Darüber hinaus ist der Verfassungsgerichtshof über Antrag eines berechtigten Organs zur Aufhebung der konventionswidrigen einfachgesetzlichen Norm als verfassungswidrig berufen. Erfolgt eine Konventionsverletzung durch Fehlen erforderlicher gesetzlicher Maßnahmen, so kann – in Ermangelung einer Möglichkeit des Verfassungsgerichtshofes die Erlassung von Gesetzen zu erzwingen – eine Abhilfe nur durch den Gesetzgeber aus eigener Initiative geschaffen werden. Jedenfalls eine Befassung des Verfassungsgerichtshofes durch ein anfechtungsberechtigtes Gericht oder durch einen unabhängigen Verwaltungssenat im Anlassfall setzt jedoch voraus, dass die zumeist schon vor Anrufung des EGMR eingetretene innerstaatliche Rechtskraft der auf einem konventionswidrigen Gesetz beruhenden Entscheidung einer neuerlichen Beurteilung durch das anfechtungsbefugte Organ nicht im Wege stünde. Dies führt aber schon zur Frage welche individuellen Maßnahmen zur Entsprechung der „Befolgungspflicht“ in der nationalen Rechtsordnung vorgesehen sind, wie etwa die Erneuerung rechtskräftig abgeschlossener Gerichts- bzw. Verwaltungsverfahren nach Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR im vorangegangenen Verfahren. 2./ Für den Bereich des gerichtlichen Strafrechtes ist diese Möglichkeit durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 762, ausdrücklich geschaffen worden. Die durch diese Novelle eingefügten §§ 363 a – c StPO lauten:
  1. Erneuerung des Strafverfahrens § 363a.
(1) Wird in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eine Verletzung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichtes festgestellt, so ist das Verfahren auf Antrag insoweit zu erneuern, als nicht auszuschließen ist, daß die Verletzung einen für den hievon Betroffenen nachteiligen Einfluß auf den Inhalt einer strafgerichtlichen Entscheidung ausüben konnte. (2) Über den Antrag auf Erneuerung des Verfahrens entscheidet in allen Fällen der Oberste Gerichtshof. Den Antrag können der von der festgestellten Verletzung Betroffene und der Generalprokurator stellen; § 282 Abs. 1 ist sinngemäß anzuwenden. Der Antrag ist beim Obersten Gerichtshof einzubringen. Zu einem Antrag des Generalprokurators ist der Betroffene, zu einem Antrag des Betroffenen ist der Generalprokurator zu hören; § 35 Abs. 2 ist sinngemäß anzuwenden.
  • 363b.
(1) Der Oberste Gerichtshof hat über den Antrag auf Erneuerung des Verfahrens nur dann in nichtöffentlicher Sitzung zu beraten, wenn der Generalprokurator oder der Berichterstatter einen der im Abs. 2 oder 3 angeführten Beschlüsse beantragt. (2) Bei der nichtöffentlichen Beratung kann der Oberste Gerichtshof den Antrag zurückweisen, 1. wenn der Antrag des Betroffenen nicht von einem Verteidiger unterschrieben ist, 2. wenn der Antrag von einer Person gestellt worden ist, der das Antragsrecht nicht zusteht, oder 3. wenn der Gerichtshof den Antrag einstimmig als offenbar unbegründet erachtet. (3) Bei der nichtöffentlichen Beratung kann der Gerichtshof dem Antrag stattgeben, die strafgerichtliche Entscheidung aufheben und die Sache erforderlichenfalls an das Landesgericht oder Oberlandesgericht verweisen, wenn schon vor der öffentlichen Verhandlung über den Antrag feststeht, daß das Verfahren zu erneuern ist. Im erneuerten Verfahren darf keine strengere Strafe über den Verurteilten verhängt werden, als das frühere Urteil ausgesprochen hatte.
  • 363c.
(1) Wird über den Antrag nicht schon in nichtöffentlicher Sitzung entschieden, so ist ein Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung der Sache anzuberaumen. Für dessen Anordnung und Durchführung gelten die §§ 286 und 287 dem Sinne nach mit der Maßgabe, daß der nicht verhaftete Angeklagte stets vorzuladen und auch die Vorführung des verhafteten Angeklagten zu veranlassen ist, wenn er dies beantragt hat oder die Vorführung sonst im Interesse der Rechtspflege geboten erscheint. (2) Wenn der Oberste Gerichtshof den Antrag weder nach § 363b Abs. 2 Z 1 oder 2 zurückweist noch als unbegründet erachtet, gibt er ihm statt, hebt die strafgerichtliche Entscheidung auf und verweist die Sache erforderlichenfalls an das Landesgericht oder Oberlandesgericht. Hinzuweisen ist schließlich darauf, dass der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 2. 12. 2002, VfSlg. Nr. 16.747, welcher § 363a StPO auf Grund einer Verweisungsnorm im Disziplinarstatut für Rechtsanwälte bei der Überprüfung eines Bescheides einer Disziplinarkommission für Rechtsanwälte anzuwenden gehabt hatte, das dort enthaltene Relevanzkalkül als mit der EMRK vereinbar angesehen hat. Er erachtete daher keine Verfassungsverletzung durch einen Bescheid der Disziplinarbehörde gegeben, mit welchem nach einer Verurteilung wegen überlanger Verfahrensdauer eine Erneuerung des Disziplinarverfahrens versagt wurde. Praktische Fälle solcher Erneuerungen betrafen u.a. Doppelbestrafungsverbote (Verwaltungsstrafe wegen Lenken eines Fahrzeuges im alkoholisierten Zustand und anschließende qualifizierte Bestrafung durch das Strafgericht wegen „Fahrlässiger Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen“), Verletzungen des Art. 10 EMRK durch gerichtliche Bestrafungen wegen Übler Nachrede, sowie Anwendung des § 209 StGB „Gleichgeschlechtliche Unzucht mit Personen unter 18 Jahren“. Zu erwähnen ist eine bedeutende Erweiterung des Anwendungsbereiches des § 363a StPO durch rechtsfortbildende Judikatur des Obersten Gerichtshofes. Dieser wendet seit seinem Beschluss vom 1. August 2007, Zl. 13Os 135/06, die zitierte Bestimmung nämlich nicht nur dann an, wenn eine Konventionsverletzung durch den EGMR festgestellt wurde, sondern auch dann, wenn der Verurteilte eine solche Konventionsverletzung durch ein rechtskräftiges Urteil der Strafgerichte gegenüber dem Obersten Gerichtshof behauptet und letzterer zum Ergebnis kommt, dass diese Behauptung zutreffend ist. 3./ Für den Bereich des gerichtlichen Zivilverfahrens existieren dem § 363a vergleichbare Bestimmungen nicht. 4./ Für das Verwaltungsrecht ist zunächst zu betonen, dass – von den äußerst seltenen meritorischen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes in Säumnisbeschwerdeverfahren abgesehen – Träger einer inhaltlichen Entscheidung strittiger Fragen stets ein Verwaltungsakt (Bescheid), nicht jedoch das Erkenntnis eines Gerichtshofes öffentlichen Rechtes (des Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshofes) ist. Beschwerdeabweisungen durch diese (im Falle der Beschwerdestattgebung nur kassatorisch entscheidenden) Gerichtshöfe ungeachtet einer Konventionswidrigkeit des bei ihnen angefochtenen Bescheides beheben zwar den Mangel dieses Bescheides nicht, bewirken jedoch keinesfalls, dass die Gerichtsentscheidung etwa an die Stelle des Verwaltungsaktes treten würde. Letzterer bleibt von der Beschwerdeabweisung eben unberührt. Daraus folgt, dass eine vom EGMR festgestellte materielle Konventionsverletzung durch einen vor den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts erfolglos bekämpften Verwaltungsakt (etwa eine Verletzung des Art. 8 EMRK durch ein Aufenthaltsverbot) durch Aufhebung eben dieses Verwaltungsaktes durch die Verwaltungsbehörde beseitigt werden könnte. Eine Rechtsgrundlage hiefür besteht in § 68 Abs. 2 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes, welcher wie folgt lautet: (2) Von Amts wegen können Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde oder vom unabhängigen Verwaltungssenat, die oder der den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden. Der Wermutstropfen ist freilich, dass aus der Formulierung „von Amts wegen“ das Fehlen eines Antragsrechtes auf eine solche Maßnahme und damit auch das Fehlen einer Erzwingbarkeit derselben vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes abzuleiten ist. Zu erwähnen ist weiters das Verwaltungsstrafrecht, ein österreichisches Spezifikum, in dem Behörden der hierarchisch gegliederten Verwaltung in erster Instanz Strafen verhängen, gegen die Berufung an den jeweils zuständigen Unabhängigen Verwaltungssenat (eine Verwaltungsbehörde im Verständnis der österreichischen Verfassung, aber wohl ein Tribunal im Verständnis des Art. 6 EMRK) erhoben werden kann. Die UVS unterliegen dann der Kontrolle durch den Verfassungs- bzw. Verwaltungsgerichtshof. Hier gilt § 68 Abs. 2 AVG nicht. Die Möglichkeit einer Rechtskraftdurchbrechung ist enger gefasst und setzt offenkundige Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Beschuldigten voraus: Abänderung und Aufhebung von Amts wegen § 52a. (1) Von Amts wegen können der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegende Bescheide, durch die das Gesetz zum Nachteil des Bestraften offenkundig verletzt worden ist, sowohl von der Behörde als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden. § 68 Abs. 7 AVG gilt sinngemäß. (2) Die Folgen der Bestrafung sind wiedergutzumachen. Soweit dies nicht möglich ist, ist gemäß dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz 2005 (StEG 2005), BGBl. I Nr. 125/2004, zu entschädigen. Im Jahr 2006 wurde ein Ministerialentwurf des Bundeskanzleramtes für ein „Verfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetz 2006“ versandt, welcher u.a. auch eine Erneuerung von Verwaltungsstrafverfahren vorsah. Der dort geplante § 52b des Verwaltungsstrafgesetzes hätte gelautet: „Erneuerung des Strafverfahrens § 52b. (1) Wird in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eine Verletzung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine behördliche Entscheidung im Verwaltungsstrafverfahren festgestellt, so ist das Verfahren auf Antrag insoweit zu erneuern, als nicht auszuschließen ist, dass die Verletzung einen für den hievon Betroffenen nachteiligen Einfluss auf den Inhalt des Strafbescheides ausüben konnte. (2) Über den Antrag auf Erneuerung entscheidet die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, wenn jedoch in der betreffenden Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, dieser. Der Antrag ist bei der Behörde einzubringen, die in erster Instanz entschieden hat. (3) In einem dem Antrag stattgebenden Bescheid ist auszusprechen, inwieweit und in welcher Instanz das Verfahren zu erneuern ist. (4) Im erneuerten Verfahren darf keine höhere Strafe verhängt werden als in dem früheren Bescheid.“ Dieses Gesetzesvorhaben wurde jedoch in der Folge nicht umgesetzt. Natürlich wäre es auch denkmöglich, einen materiell konventionswidrigen Verwaltungsakt, gegen den zunächst die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts erfolglos angerufen worden waren, indirekt dadurch zu beseitigen, dass zunächst das Verfahren vor einem dieser Gerichtshöfe erneuert wird und der betreffende Gerichtshof sodann im Zuge der Entscheidung im erneuerten Verfahren den konventionswidrigen Verwaltungsakt aufhebt. Eine solche Möglichkeit wäre auch insbesondere dann bedeutsam, wenn der Gerichtshof öffentlichen Rechts bei der Überprüfung einer (selbst nicht konventionswidrigen Verwaltungsentscheidung) selbst verfahrensrechtliche Garantien der Konvention verletzt. Dies geschieht durch den Verwaltungsgerichtshof bisweilen in Ansehung der Verpflichtung zur Durchführung einer öffentlichen Verhandlung in Angelegenheiten des Art. 6 EMRK. Nach einer Verurteilung Österreichs aus einem solchen Grunde versuchte der damalige Beschwerdeführer eine Wiederaufnahme des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu erreichen. Der Verwaltungsgerichtshof erachtete in seinem Beschluss vom 22. November 2004, Zl. 2004/10/0032, das Vorliegen des innerstaatlichen Wiederaufnahmegrundes nicht als gegeben. Zur Frage, inwiefern durch Art. 46 EMRK eine gegenteilige Sicht geboten wäre, führte der Verwaltungsgerichtshof in diesem die Wiederaufnahme versagenden Beschluss Folgendes aus: Soweit mit einem Urteil des EGMR eine Konventionsverletzung festgestellt wird, handelt es sich – abgesehen von einem Ausspruch nach Art. 41 MRK – um ein Feststellungsurteil. Offen ist dabei die Frage der Tragweite der aus Art. 46 Abs. 1 MRK erwachsenden Verpflichtungen (vgl. zum Folgenden Okresek, Art. 46 MRK in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, Rz 6 f). Art. 46 Abs. 1 MRK (vormals: Art. 53) in der Fassung des 11. ZP MRK hat folgenden Inhalt: „Die Hohen Vertragsschließenden Teile verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofes zu befolgen.“ Nach herrschender Lehre beinhaltet diese Bestimmung eine völkerrechtliche Verpflichtung, verleiht den Urteilen des EGMR jedoch keine unmittelbare innerstaatliche Wirkung; dies selbst dann nicht, wenn die Europäische Menschenrechtskonvention – wie in Österreich – unmittelbar anwendbares Verfassungsrecht ist (vgl. Mayer, Zivilrechtsbegriff und Gerichtszuständigkeit, ZfV 1988, 473 ff, (482)). Ein Urteil des EGMR kann den betreffenden konventionswidrigen Akt daher weder abändern noch aufheben (vgl. etwa Frowein/Peukert, MRK- Kommentar 2, 1996, 725 Rz 3; ferner Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention2, 1999, Rz 225). Der EGMR betont in ständiger Rechtsprechung, dass es dem betroffenen Staat obliege, die Mittel zu wählen, die in seiner innerstaatlichen Rechtsordnung heranzuziehen sind, um seinen Verpflichtungen gemäß Art. 46 MRK nachzukommen (vgl. z.B. EGMR 13.6.1979, Marckx gg. Belgien, EuGRZ 1979, 454 ff (460); EGMR 26.10.1988, Norris gg. Irland, ÖJZ 1989, 628 ff (631); EGMR 25.2.1997, Z gg. Finnland, ÖJZ 1998, 152 ff (155)); ferner Ress, Wirkung und Beachtung der Urteile und Entscheidungen der Straßburger Konventionsorgane, EuGRZ 1996, 350 ff). Er hat auch entschieden, dass sich aus der Konvention nicht eine Pflicht des betroffenen Staates zur Wiederaufnahme des Verfahrens oder zur Durchführung irgendwelcher Verwaltungsmaßnahmen ableiten lasse (EGMR 20.9.1993, Saidi gg. Frankreich, ÖJZ 1994, 322 ff (323); bestätigt in der Entscheidung der EKMR 18.10.1995, Kremzow gg. Österreich, ÖJZ 1996, 114 f (115)). Seit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 762, besteht zwar bei Konventionsverletzungen im Rahmen eines Strafverfahrens die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 363a StPO. Diese Regelung wurde aber nicht in dem Verständnis getroffen, dass sie auf Grund der MRK geboten sei. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage betonen vielmehr, es sei anerkannt, dass Art. 6 Abs. 1 MRK die Mitgliedstaaten nicht verpflichte, in ihrem innerstaatlichen Recht in jedem Fall eine Aufhebung der jener Entscheidung vorzusehen, in Bezug auf welche eine Verletzung der Konvention festgestellt wurde; sie räumen lediglich ein, dass eine Verpflichtung zur „restitutio in integrum“ jedenfalls insoweit anzunehmen sei, als das der innerstaatlichen Entscheidung zugrunde liegende innerstaatliche Recht einer konventionskonformen Auslegung zugänglich sei (vgl. AB BlgNR XX. GP, 64 f). Diese Rechtsprechung wurde mit weiteren Beschlüssen des Verwaltungsgerichtshofes vom 24.2.2005, Zl. 2003/11/0111 und vom 26. 2. 2007, Zl. 2006/10/0034, bestätigt Dieselbe Argumentation verfolgte im Übrigen auch der Oberste Gerichtshof in seinem (späteren) Beschluss vom 26. Juni 2008, 15 Os 25/08. IV. / Schadenersatz Die Exekution vom EGMR zugesprochener Entschädigungen nach Art. 41EMRK erscheint in Österreich nur von theoretischer Bedeutung, da seitens des Staates regelmäßig Zahlung geleistet wird. Festzustellen ist allerdings, dass Urteile des EGMR in § 1 der Exekutionsordnung nicht als Exekutionstitel genannt sind, sodass es fraglich erscheint, ob im gedachten Falle der Nichtleistung auferlegter Entschädigungen durch den österreichischen Staat unmittelbar gerichtliche Exekution geführt werden könnte. Über den vom EGMR zuerkannten Ersatzbetrag hinausgehende Schäden könnten im Wege des Amtshaftungsrechtes, jedoch nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nur unter den im Amtshaftungsgesetz umschriebenen Voraussetzungen, zu denen insbesondere das Verschulden des verantwortlichen Organwalters durch Verfechtung einer „unvertretbaren Rechtsansicht“ gehört, geltend gemacht werden. An die Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR wäre das Zivilgericht bei der Beurteilung solcher Amtshaftungsansprüche natürlich gebunden; die „Vertretbarkeit“ der sich als konventionswidrig herausgestellten Rechtsansicht hätte es selbständig zu beurteilen. Anzumerken ist auch, dass Amtshaftungsansprüche aus Entscheidungen der Höchstgerichte nicht abgeleitet werden können. Abschließend sei noch auf das Strafrechtliche Entschädigungsgesetz 2005 hingewiesen, welches bei konventionswidrigen Maßnahmen der Strafjustiz eigene Schadenersatzansprüche für die davon Betroffenen vorsieht. Ich will jetzt Ihr subjektives Recht auf Kaffeepause respektieren und hoffe, dass die Verzögerung der Umsetzung desselben infolge meiner Ausführungen als noch gerechtfertigt gewürdigt wird und danke für Ihre Aufmerksamkeit.  
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