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Die Verpflichtungsklage – §§ 42 Abs. 1, 2. Alternative, 113 Abs. 5 VwGO

Dr. Regine Schröder, Richterin am Oberverwaltungsgericht Münster

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich werde Ihnen heute die Verpflichtungsklage vorstellen. Dabei kann ich den deutschen Teilnehmern, die täglich mit dieser Klageart befasst sind, vielleicht nicht allzu viel Neues berichten. Für die französischen und italienischen Teilnehmer dürfte – ich hoffe es jedenfalls – anderes gelten, denn Ihre Verwaltungsprozessordnungen sehen eine Klage in dieser Gestalt nicht vor. Ich werde zunächst einen Überblick darüber geben, was den deutschen Gesetzgeber bewogen hat, die Verpflichtungsklage in den Katalog der Klagearten der Verwaltungsgerichtsordnung aufzunehmen. Im Anschluss werde ich Ihnen diese Klageart näher erläutern. Meinen Vortrag beschließen möchte ich mit einigen Bemerkungen zur Vollstreckung eines Verpflichtungsurteils.

 

Werfen wir also zunächst einen Blick in die Vergangenheit: Eine für ganz (West-)Deutschland einheitliche Regelung der Verpflichtungsklage gab es erstmals mit Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung im Jahre 1960. Das ist allerdings keine Besonderheit der Verpflichtungsklage, denn vor diesem Zeitpunkt herrschte in Deutschland auf dem Gebiet des gesamten Verwaltungsprozessrechts ein Zustand der Rechtszersplitterung. Seit den Anfängen der Verwaltungsgerichtsbarkeit hatten die einzelnen deutschen Länder selbstständig Verwaltungsgerichte errichtet und dementsprechend auch eigene Verfahrensvorschriften erlassen. Erst nach der Zeit des Nationalsozialismus, in der verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz ab- statt aufgebaut wurde, setzte eine langsame Entwicklung zur Vereinheitlichung ein. Die Zuständigkeit für verwaltungsprozessuale Regelungen lag seit dem Ende des zweiten Weltkrieges für das ihnen jeweils zugesprochene Gebiet bei den Besatzungsmächten. Zumindest insoweit entstanden also bereits weitgehend einheitliche Regelungen.

Hervorheben möchte ich die in der amerikanischen und britischen Besatzungszone geltenden Vorschriften, denn hier stoßen wir auf die Vorläufer der Verpflichtungsklage: In den Ländern der amerikanischen Besatzungszone galten die sogenannten süddeutschen Verwaltungsgerichtsgesetze aus den Jahren 1946 und 1947. Diese Gesetze kannten zwar noch keine Verpflichtungsklage als eigenständige Klageart. Sie sahen aber vor, dass gegen die Ablehnung oder das Unterlassen einer beantragten Amtshandlung die Anfechtungsklage zulässig sei. Das stattgebende Anfechtungsurteil – und das ist die Besonderheit – sprach in diesem Fall die Verpflichtung der Behörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen. Fehlte es an der sogenannten Spruchreife der Sache, verblieb der Verwaltung also – hier zunächst einmal untechnisch formuliert – ein Entscheidungsspielraum, sprach das Gericht ein Bescheidungsurteil aus. Für die gesamte britische Besatzungszone galt die Militärregierungs-Verordnung Nr. 165 aus dem Jahr 1948. Diese kannte bereits eine der heutigen Verpflichtungsklage vergleichbare Klageart. § 24 sah vor: „Eine Klage auf Vornahme eines beantragten Verwaltungsaktes kann nur darauf gestützt werden, dass der Kläger einen Rechtsanspruch auf die Vornahme habe und dass die Verwaltungsbehörde den Antrag abgelehnt oder ohne zureichenden Grund innerhalb von zwei Monaten nicht beschieden habe.“

Im Jahre 1949 trat das Grundgesetz in Kraft. Dessen Art. 74 Nr. 1 wies die Regelung der Verfassung und des Verfahrens der Verwaltungsgerichtsbarkeit der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes zu. Damit waren die Weichen zugunsten einer einheitlichen Regelung gestellt. Gleichwohl sollten 11 Jahre vergehen und ein langwieriges Gesetzgebungsverfahren erforderlich sein, bis die Verwaltungsgerichtsordnung am 21. Januar 1960 als bundesrechtliche Regelung ausgefertigt wurde. Seitdem ist § 42 Abs. 1 VwGO bis zum heutigen Tage nicht geändert worden. Die Regelung lautet: Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

 

Was aber waren die Motive der Gesetzgebungsorgane, im Nachkriegsdeutschland neben der traditionellen Anfechtungsklage nun auch eine Verpflichtungsklage in den Prozessordnungen zu verankern? Die Begründung zur Verwaltungsgerichtsordnung in dem maßgeblichen Regierungsentwurf aus dem Jahr 1952 geht auf diese Frage nicht ausdrücklich ein. Hier wird allerdings hervorgehoben, dass die Verpflichtungsklage das „Gegenstück zur Anfechtungsklage“ bilde und sie der Abrundung des Rechtsschutzes gegenüber der öffentlichen Gewalt diene. Deutlicher formulierte es Otto Bachof in seiner Habilitationsschrift aus dem Jahre 1951: „Erst damit ist der Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber dem übermächtigen Staat vollkommen geworden.“

Tatsächlich lag nach dem Ende des zweiten Weltkrieges angesichts der Erfahrungen gravierender Rechtsschutzverkürzungen gegenüber der öffentlichen Gewalt unter dem nationalsozialistischen Regime ein besonderes Augenmerk darauf, den Schutz des Einzelnen gegenüber dem Staat zu stärken. Der Verwaltungsprozess, der sich zuvor im Wesentlichen auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Verwaltungshandeln beschränkt hatte, erfuhr eine entsprechende Wandlung: Ziel war es nun, dem Einzelnen und seinen subjektiven Rechten umfassenden Rechtsschutz zu garantieren. Der Kläger lieferte nicht mehr lediglich den Anstoß zu einer Überprüfung einer Verwaltungsmaßnahme. Er stand vielmehr – ähnlich wie im ordentlichen Prozess – der Gegenseite, d. h. der Verwaltung, gleichberechtigt gegenüber. Zur Verteidigung seiner subjektiven Rechte gegenüber der Verwaltung gehörte nun auch die aktive Durchsetzung von Ansprüchen. Um dies zu ermöglichen, wurden die Verwaltungsgerichte befähigt, der Verwaltung wie jedem Einzelnen Verpflichtungen aufzuerlegen. Dies entspricht den Vorgaben des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes, wonach jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offensteht.

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Belassen wir es bei diesem historischen Überblick und wenden uns den Fragen zu, die sich bei der Prüfung einer Verpflichtungsklage stellen. Vorwegschicken möchte ich einige allgemeine Bemerkungen:

 

Während mit der Anfechtungsklage die Aufhebung eines Verwaltungsakts begehrt werden kann, richtet sich die Verpflichtungsklage auf den Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts. Was genau unter einem Verwaltungsakt zu verstehen ist, regelt die VwGO selbst nicht. Eine Legaldefinition findet sich in § 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz. Danach ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach Außen gerichtet ist. Hervorzuheben ist, dass ein Anspruch auf sonstige Amtshandlungen, die keinen Verwaltungsakt darstellen, mit der allgemeinen Leistungsklage geltend zu machen ist.

Anfechtungs- und Verpflichtungsklage haben nicht nur gemein, dass sie sich auf einen Verwaltungsakt beziehen. Der Gesetzgeber hat auch für beide Klagearten übereinstimmende besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen vorgesehen, also verfahrensrechtliche Hürden, die überwunden werden müssen, um überhaupt eine richterliche Prüfung des Falls in der Sache zu ermöglichen. Beispielsweise ist die Klage im Regelfall nur nach Durchführung des sogenannten Widerspruchsverfahrens zulässig. Danach ist, bevor der Richter mit der Angelegenheit befasst wird, die Entscheidung der Verwaltung noch einmal in einem behördlichen Vorverfahren zu überprüfen.

Trotz der bestehenden Gemeinsamkeiten ist es aber nicht ganz zutreffend, die Verpflichtungsklage als Spiegelbild der Anfechtungsklage zu bezeichnen. Denn anders als die Anfechtungsklage ist sie keine Gestaltungs-, sondern eine besondere Art der Leistungsklage. Während das Gericht im Anfechtungsprozess den Verwaltungsakt unmittelbar durch den Urteilsausspruch aufhebt, weist es bei einer stattgebenden Entscheidung im Verpflichtungsprozess lediglich die Behörde zu einem bestimmten Verhalten an.

Ausgehend vom Wortlaut des § 42 Abs. 1 VwGO lassen sich zwei Varianten der Verpflichtungsklage unterscheiden: Wendet sich der Bürger mit seiner Klage dagegen, dass die Behörde den Erlass eines von ihm beantragten Verwaltungsaktes ab-gelehnt hat, spricht man von der Versagungsgegenklage. In der Rechtsprechung wird davon ausgegangen, dass diese Klage nicht nur auf den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtet ist, sondern zugleich die Aufhebung der ablehnenden Entscheiung mit einschließt. In der Praxis ist es dementsprechend gebräuchlich, die ablehnende Entscheidung der Behörde im Tenor eines Verpflichtungsurteils aufzuheben. Von einer Untätigkeitsklage spricht man, wenn die Behörde den Antrag eines Bürgers auf Vornahme eines Verwaltungsaktes nicht beschieden hat. Für diesen Fall regelt § 75 VwGO eine Ausnahme von dem zuvor erwähnten Erfordernis eines behördlichen Vorverfahrens. Die Klage ist danach zulässig, wenn über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit dem Antrag erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist.

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Kommen wir zur Begründetheit der Verpflichtungsklage. Die maßgebliche Rechtsnorm ist § 113 Abs. 5 VwGO. Sie befasst sich mit dem Urteilstenor der Verpflichtungsklage und steckt damit zugleich den Rahmen ihrer Begründetheitsprüfung ab. Die Vorschrift hat ebenfalls Vorbilder im Besatzungsrecht und entspricht dem Grunde nach § 114 Abs. 4 des Entwurfs einer Verwaltungsgerichtsordnung aus dem Jahre 1952. Seit Erlass der Verwaltungsgerichtsordnung im Jahre 1960 ist die Rege-lung nicht geändert worden.

§ 113 Abs. 5 VwGO sieht für stattgebende Urteile zwei Varianten vor: Nach Satz 1 spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung – gemeint ist der Verwaltungsakt – vorzunehmen, soweit die Ableh-nung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist und die Sache spruchreif ist. Gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO spricht das Verwaltungsgericht bei fehlender Spruchreife die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (sogenanntes Bescheidungsurteil).

Mit Hilfe des Merkmals der „Spruchreife“ unterscheidet § 113 Abs. 5 VwGO also zwischen zwei Arten stattgebender gerichtlicher Entscheidungen. Auf der einen Seite sind das Entscheidungen über rechtlich voll determinierte Ansprüche und auf der anderen Seite solche über den Anspruch auf fehlerfreie Entscheidungsfindung bei einer der Verwaltung zustehenden Letztentscheidungsbefugnis. Mit dieser Differenzierung wird der Kompetenzverteilung zwischen der Verwaltung und den Gerichten und mit-hin dem Grundsatz der Gewaltenteilung Rechnung getragen.

Wann aber ist eine Sache spruchreif? Vereinfacht lässt sich sagen: Spruchreife bedeutet, dass das Verwaltungsgericht zu einer abschließenden Entscheidung über den Verwaltungsakt in der Lage ist. Für eine präzisere Abgrenzung zwischen Spruchreife und mangelnder Spruchreife nehmen wir zunächst die Konstellationen in den Blick, in denen es regelmäßig an der Spruchreife fehlt: Das sind im Grundsatz Entscheidungen, bei denen die Behörde noch über Ermessen, über einen Beurteilungsspielraum oder einen Planungsspielraum verfügt.

Die Fallgruppe des Planungsspielraums werde ich im Rahmen meines Vortrags vernachlässigen. Zu den Begriffen des Ermessens und des Beurteilungsspielraums möchte ich dagegen einige kurze Erläuterungen einschieben: Beide Begriffe beschreiben einen Entscheidungsspielraum der Behörde. Die Differenzierung zwischen ihnen ist nur verständlich, wenn die in Deutschland gebräuchliche Unterscheidung zwischen der Tatbestands- und der Rechtsfolgenseite einer Norm berücksichtigt wird. Als Beispiel für diese Unterscheidung möge die folgende Regelung dienen: „Die Baugenehmigung ist zu erteilen, wenn dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen“. Nur wenn die Voraussetzungen des Normtatbestandes („wenn dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen“) gegeben sind, kommt der Erlass des Verwaltungsakts überhaupt in Betracht. Auf der Rechtsfolgenseite der Norm („die Baugenehmigung ist zu erteilen“) ist geregelt, ob die Erfüllung des Tatbestandes zwingend eine bestimmte behördliche Maßnahme nach sich zieht. In unserem Beispiel („die Baugenehmigung ist zu erteilen“) ist das der Fall. Das bezeichnet man als gebundenes Verwaltungshandeln. Sieht die Norm dagegen auf der Rechtsfolgenseite einen Entscheidungsspielraum vor, spricht man von Ermessen. Ein Beispiel für eine Ermessensregelung ist etwa die Folgende: „Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.“

 

Nicht um Ermessen, sondern um einen Beurteilungsspielraum handelt es sich da-gegen, wenn eine Norm die Letztentscheidung über die Frage, ob eines ihrer Tatbestandselemente erfüllt ist, der Verwaltung zuweist. Es kommt allerdings selten vor, dass eine Norm die Letztentscheidung ausdrücklich der Behörde vorbehält. Typischerweise stellt sich die Frage nach dem Vorliegen eines Beurteilungsspielraums bei der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Tatbestand der Norm. Beispiele für unbestimmte Rechtsbegriffe sind etwa das Erfordernis eines „öffentlichen Interesses“, eines „Bedarfs“ oder der „Zweckmäßigkeit“. Allerdings ist ein unbestimmter Rechtsbegriff kein taugliches Indiz für einen Beurteilungsspielraum. Das Gegenteil ist der Fall, denn die abschließende Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe und die Subsumtion von Sachverhalten hierunter gehört gerade zum typischen Aufgabenbereich des Richters. Es ist daher durch Auslegung der Regelung im Einzelfall zu ermitteln, ob der Behörde ausnahmsweise ein Beurteilungsspielraum einräumt ist. Das Bundesverwaltungsgericht geht etwa in den folgenden Bereichen von Beurteilungsspielräumen aus: Bei beamtenrechtlichen Beurteilungen, Prüfungsentscheidungen, prüfungsähnlichen Entscheidungen, prognostischen Einschätzungen mit politischem Einschlag, planerisch gestaltenden Entscheidungen sowie Entscheidungen, die sachverständigen oder pluralistisch besetzten Gremien anvertraut sind.

Das soll als Hintergrundinformation zu den Begriffen des Ermessens und des Beurteilungsspielraums genügen. Fehlt es an derartigen Entscheidungsspielräumen, ist Gegenstand der Klage also ein gebundener Verwaltungsakt ohne Beurteilungsspielraum, ist eine Sache nach Klärung sämlicher rechtlicher und tatsächlicher Fragen durch das Gericht spruchreif. Spruchreife liegt ausnahmsweise auch dann vor, wenn der Behörde zwar an sich Ermessen eröffnet ist, dieses Ermessen aber im konkreten Fall dahin reduziert ist, dass der begehrte Verwaltungsakt erlassen werden muss, weil dies die einzige rechtmäßige Entscheidung ist (sogenannte Ermessensreduzierung auf Null). Eine solche Reduzierung auf Null ist beispielsweise anzunehmen, wenn die Gewährung des begehrten Verwaltungsakts aus Gründen der Gleichbehandlung geboten ist. Auch Beurteilungsspielräume können in Ausnahmefällen dergestalt reduziert sein.

Abschließend ist zur Klärung des Merkmals der Spruchreife hervorzuheben, dass das Verwaltungsgericht grundsätzlich verpflichtet ist, die Sache spruchreif zu machen. Anders ausgedrückt: Das Verwaltungsgericht hat – soweit seine Kompetenz reicht – sämtliche Anspruchsvoraussetzungen rechtlich und tatsächlich zu klären. Es hat also auch in Angelegenheiten, die wegen eines Entscheidungsspielraums der Behörde nicht in jeder Hinsicht spruchreif zu machen sind, die übrigen Entscheidungsvoraussetzungen abschließend zu untersuchen. Eine andere Sachbehandlung würde dem Gericht faktisch die Möglichkeit einer Zurückverweisung an die Verwaltung eröffnen. Dies war nach der Entstehungsgeschichte der Norm aber gerade nicht gewollt.

Es wird allerdings auch vertreten, dass das Gericht unter bestimmten Umständen die vollständige Sachverhaltsaufklärung ausnahmsweise nicht selbst vornehmen muss, sondern dies der Behörde in einem Bescheidungsurteil aufgeben darf. Zu denken ist hier etwa an Fälle, in denen noch komplexe technische Sachverhalte, ggf. unter Beteiligung anderer Fachbehörden, zu klären sind oder in denen ein besonders ausgestaltetes behördliches Verfahren vorgeschrieben ist, das bislang nicht durchgeführt wurde. Für das Gericht ist das Verfahren mit dem Erlass des Bescheidungsurteils beendet; die Fortführung der Angelegenheit obliegt allein der Behörde. Diese ist da-bei zwar nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO an die Rechtsauffassung des Gerichts gebunden, die in den Entscheidungsgründen des Bescheidungsurteils ihren Ausdruck findet. Geht es aber beispielsweise um die konkrete Durchführung einer durch das Urteil aufgegebenen Sachverhaltsermittlung, liegt die Entscheidungshoheit nun wieder bei der Behörde. Hiermit im Zusammenhang auftretende Fragen und Unstimmigkeiten zwischen den Verfahrensbeteiligten sind erst nach Ergehen der erneuten behördlichen Entscheidung über den Anspruch einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich.

Wir verlassen nun den recht abstrakten Bereich der Spruchreife und vollziehen die richterliche Begründetheitsprüfung der Verpflichtungsklage nach. Hier hat es sich in der Praxis – entgegen dem Wortlaut des § 113 Abs. 5 VwGO – für den Regelfall durchgesetzt, nicht die Rechtswidrigkeit der Ablehnung des geltend gemachten Anspruchs zu überprüfen. Es ist vielmehr zu untersuchen, ob dem Kläger der Anspruch im maßgeblichen Zeitpunkt gegen den Beklagten zusteht bzw. zugestanden hat und ob dieser Anspruch noch nicht erfüllt worden ist.

 

Im Einzelnen: Ein Anspruch auf Erlass eines Verwaltungsakts oder ermessensfehlerfreie Entscheidung kann sich vor allem aus einem Gesetz, aufgrund eines Gesetzes, aus einem Grundrecht, aus einer Zusicherung, aus öffentlich-rechtlichem Vertrag, aus einem sonstigen Verwaltungsakt oder aus sonstigen anspruchsbegründenden Rechtsakten ergeben. Zu prüfen sind sodann im Einzelnen die sogenannten formellen Anspruchsvoraussetzungen (etwa Antragsfristen, Mitwirkung anderer Behörden) sowie die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Anspruchsgrundlage.

Da mit der Verpflichtungsklage ein noch zu erfüllender Leistungsanspruch geltend gemacht wird, gilt der Grundsatz, dass der maßgebliche Zeitpunkt, in dem die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage vorliegen müssen, derjenige der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz(en) bzw. bei Fehlen einer mündlichen Verhandlung der Entscheidungszeitpunkt ist; Änderungen der Rechtslage während der Revisionsinstanz sind zu berücksichtigen. Das Gericht darf also in der Regel nur dann zum Erlass des begehrten Verwaltungsakts verpflichten, wenn die Anspruchsvoraussetzungen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch vorliegen. Der zuvor beschriebene Grundsatz gilt nicht, wenn sich aus dem zugrundeliegenden materiellen Recht besondere zeitliche Vorgaben herleiten lassen. Als Beispiele sind hier zu nennen: Regelungen, die an Voraussetzungen anknüpfen, die zu bestimmten Zeitpunkten gegeben sein müssen (Zulassung zum Studium, bestimmte Sozialleistungen) oder Stichtagsregelungen.

Hat das Gericht das Vorliegen der formellen Anspruchsvoraussetzungen sowie sämtlicher materieller Tatbestandsvoraussetzungen der Anspruchsnorm festgestellt, verpflichtet es die Behörde bei Spruchreife zum Erlass des begehrten Verwaltungsaktes. Steht der Anspruch grundsätzlich im Ermessen der Behörde oder ist ein Beurteilungsspielraum gegeben, ist an dieser Stelle zu prüfen, ob das Ermessen bzw. der Beurteilungsspielraum auf Null reduziert ist. Ist das der Fall, ist ebenfalls ein Verpflichtungsurteil nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO auszusprechen.

Lässt sich die Angelegenheit aufgrund eines bestehenden Beurteilungs- oder Ermessensspielraums nicht spruchreif machen, kommt lediglich ein Bescheidungsurteil in Betracht. Ein solches Urteil kann aber nur ergehen, wenn der Anspruch des Klägers auf Bescheidung noch nicht erfüllt worden ist. Der Verwaltungsrichter hat jetzt – sofern vorhanden – eine vorhergehende ablehnende Entscheidung der Behörde in den Blick zu nehmen. Beruht diese Entscheidung bereits auf einer fehlerfreien Abwägung, so ist der Anspruch des Klägers auf Bescheidung erloschen und die Klage abzuweisen. Ob eine ermessensfehlerfreie Abwägung vorliegt, hat das Verwaltungsgericht anhand der Vorgaben des § 114 Satz 1 VwGO zu prüfen. Danach ist zu untersuchen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Zu beachten ist dabei, dass die Behörde nach § 114 Satz 2 VwGO auch noch während des Prozesses ihre Ermessenserwägungen ergänzen kann. Bei einem Beurteilungsspielraum werden nach in der Rechtsprechung gebräuchlicher Formulierung die vollständige und methodengerechte Erfassung des Sachverhalts, die Einhaltung der Verfahrensregeln und der rechtlichen Bewertungsgrundsätze oder -maßstäbe, die Verkennung des anzuwendenden Rechts sowie der Einfluss sachfremder Erwägungen geprüft.

Fehlt es an einer fehlerfreien Entscheidung der Behörde über das Begehren des Klägers, wird die Behörde unter Aufhebung der ablehnenden Entscheidung verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung des Gerichts ist – wie bereits erwähnt – für die Behörde bindend.

Hat der Kläger einen Verpflichtungsantrag gestellt und kann das Verwaltungsgericht mangels Spruchreife nur ein Bescheidungsurteil erlassen, ist die Klage im Übrigen abzuweisen. Der Kläger unterliegt also teilweise, was auch bei der Kostenentscheidung zu seinen Lasten zu berücksichtigen ist. Um dem Kläger die Möglichkeit zu geben, eine solche (teilweise) negative Kostenentscheidung zu vermeiden, wird es in der Praxis für zulässig gehalten, dass er von vorneherein nur einen Bescheidungsantrag stellt.

Ohne in die Details zu gehen, möchte ich auf eine besondere Konstellation der Verpflichtungsklage hinweisen: Es kommt vor, dass nicht lediglich Kläger und beklagte Behörde, sondern auch Dritte von der Klage betroffen sind. Zu erwähnen sind zunächst die Fälle, in denen der Kläger eine Begünstigung für sich in Anspruch nehmen möchte, die einem anderen gewährt wurde (Beispiel: der Kläger möchte anstelle des ausgewählten Konkurrenten befördert oder zu einer Veranstaltung zugelassen werden). Mit der Verpflichtungsklage kann aber darüber hinaus der Erlass eines Verwaltungsaktes an einen Dritten erstrebt werden. Ein Beispiel ist die Klage auf ordnungsbehördliches Einschreiten gegen einen Dritten. Eine Verpflichtungsklage mit dieser Zielsetzung liegt etwa vor, wenn ein Bürger die Verpflichtung der Behörde zum bauaufsichtsrechtlichen Einschreiten gegen seinen Nachbarn begehrt, weil er der Auffassung ist, dass dieser baurechtliche Vorschriften nicht eingehalten hat.

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Ich komme nun am Ende meines Vortrages zur Vollstreckung des Verpflichtungsurteils. Wie ich bereits eingangs erwähnt habe, ist die Verpflichtungsklage nur auf den Erlass eines Urteils gerichtet, das die Anordnung zu einem späteren Verhalten der Behörde ausspricht. Wird die Behörde entgegen der im Urteilstenor ausgesprochenen Anordnung nicht tätig, kann – und muss – dies im Wege der Vollstreckung erzwungen werden. Ebenso soll dem Kläger die Möglichkeit der Vollstreckung offen-stehen, wenn er meint, die Behörde habe auf ein Bescheidungsurteil bei der Neubescheidung die Rechtsauffassung des Gerichts eben nicht beachtet. Diese Auffassung ist allerdings nicht unumstritten; nach anderer Ansicht kann er in diesen Fällen lediglich erneut im Klagewege gegen die Behörde vorgehen. Gleiches gilt für die Konstellation, dass die Behörde zwar den begehrten Verwaltungsakt – etwa die vom Kläger begehrte bauaufsichtsrechtliche Verfügung gegen einen Dritten – erlässt, sich aber in der Folge weigert, diese zwangsweise durchzusetzen.

Die maßgebliche Regelung für die Vollstreckung von Verpflichtungsurteilen ist § 172 VwGO. Danach liegt die Vollstreckung in der Hand des Gerichts des ersten Rechtszuges. Es kann auf Antrag unter Fristsetzung gegen die Behörde, die der ihr im Urteil auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt, ein Zwangsgeld bis zehntausend Euro durch Beschluss androhen, nach fruchtlosem Fristablauf festsetzen und von Amts wegen vollstrecken. Dies kann wiederholt geschehen. Nach dem Wortlaut des § 172 VwGO sind andere Zwangsmaßnahmen ausgeschlossen. Durch das Beugemittel des Zwangsgeldes soll die Behörde angehalten werden, der Verpflichtung persönlich nachzukommen; der Rechtsprechung ist es ausgehend davon verwehrt, in die Sphäre der Verwaltung überzugreifen. Insbesondere kann danach die Entscheidung der Behörde nicht im Wege einer Ersatzvornahme (etwa im Wege von Aufsichtsmaßnahmen) herbeigeführt werden. Ich möchte Ihnen allerdings nicht vorenthalten, dass der Anwendungsbereich des § 172 VwGO und in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob im Einzelfall nicht gleichwohl andere Zwangsmaßnahmen zulässig oder sogar aus Gründen der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes geboten sein können, Gegenstand fortwährender Diskussionen in Literatur und Rechtsprechung ist.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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